„Prinzessin Ardita“ von Silvia Hüsler

Eine unlösbare Aufgabe

Heiraten kann eine sehr komplizierte Angelegenheit sein, vor allem dann, wenn Eltern darauf drängen. Unter Adligen ist der Heiratszwang an der Tagesordnung und so soll sich im paradoxen Märchen von Silvia Hüsler Prinzessin Ardita vermählen.

In einigen Märchen begegnen einem junge Adlige, die außergewöhnliche Herausforderungen an ihre zukünftigen Ehepartner haben. Die einen fordern, dass eine Prinzessin so empfindlich ist, dass sie durch zehn Matratzen eine Erbse spürt wie bei Hans Christian Andersen in Die Prinzessin auf der Erbse oder wie in Dornröschen von Gebrüdern Grimm darf der Prinz Dornröschen heiraten, da er sie aus ihrem hundertjährigen Schlaf befreien konnte.

Die sogenannten deutschen Volksmärchen beginnen häufig mit den einleitenden Worten „Es war einmal …“ und so beginnt auch das albanische Märchen von Silvia Hüsler.
     Man kann die berechtigte Frage stellen, warum es sich bei diesem literarischen Text ausgerechnet um ein albanisches Märchen handelt. Abgesehen von der Namensgebung der Prinzessin Ardita, dass übersetzt im Deutschen „goldener Tag“ bedeutet, hat eines der drei Tiere – der Adler – in Albanien eine große Bedeutung. In vielen Staaten sieht man dieses Tier als Symbol, doch bei den Albanern wird der Adler nicht nur einköpfig sondern zweiköpfig auf ihrer Flagge dargestellt. Die Begründung liegt in der albanischen Geschichte, denn seit dem 13. Jahrhundert erlebte dieses Volk eine Besetzung nach der anderen, seien es die Byzantiner, Serben, Bulgaren, Normannen oder Venetianer.1 Im 15. Jahrhundert gelingt es den Albanern unter der Führung von Skanderberg unabhängig zu werden und sie konnten gleichzeitig vorläufig verhindern, eine Provinz des Osmanischen Reiches zu werden.2 Ihre Unabhängigkeit konnten sie bis zum Tod von Skanderberg am 17.01.1468 bewahren. Skanderberg ist von Albanien ein Nationalhel1b  und in seinem Familienwappen ist ein Adler. Neben der Historie ist der Steinadler in Albanien in freier Natur bis heute in größerer Stückzahl anzutreffen, dass auch mit der Landschaft dieses Landes zusammenhängt, da ein großer Teil des Staatsgebietes aus der Gebirgskette Alpen besteht. Die besondere Bedeutung des Adlers ist demnach in ihrer Geschichte sowie auf die Landschaft des Volkes zurückzuführen.
     Der Name der Prinzessin sowie die Verwendung des Adlers lässt die Möglichkeit zu, es als ein albanisches Märchen zu bezeichnen.

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Zahlensymbolik haben in Märchen eine besondere Stellung, vor allem die Zahl drei. Entweder müssen die Helden drei Aufgaben lösen oder sie begegnen drei Wesen oder sie benötigen drei Anläufe, um ihr Ziel zu erreichen, wie Agim.
     Agim ist ein hilfsbereiter junger Mann, der drei verschiedenen Tieren aus ihrer Gefangenschaft befreit. Alle drei Tiere geben dem jungen Mann aus Dankbarkeit etwas von sich wie eine Feder und wenn er Hilfe benötigt, so braucht Agim lediglich einen Spruch aufsagen und sie sind zur Stelle.

Obwohl der Text über Prinzessin Ardita viele typische Merkmale eines Märchens aufweist, so weicht dennoch das Märchen von der Schweizer Autorin von gewöhnlichen Volksmärchen in einigen Merkmalen ab. Prinzessin Ardita möchte nämlich nur den Mann zum Ehepartner haben, der sich so gut vor ihr verstecken kann, dass sie ihn nicht findet.
     Diese Aufgabe ist an und für sich unlösbar, es ist ein Paradox: Entweder gelingt es einem Mann, dass er sich so gut vor ihr verstecken kann, dass sie ihn nicht findet; dann kann er sie nicht heiraten, weil sie ihn nicht findet oder er versteckt sich nicht so gut und sie findet ihn, dann hat er ihre Aufgabe nicht gelöst und somit kann er sie auch nicht heiraten.
     Die weitere Besonderheit dieses Märchens liegt darin, dass die beiden Protagonisten nicht durch Adjektive näher beschrieben werden, sondern man schließt ihre Persönlichkeit aus ihrem Verhalten der Handlung.
     In einigen literarischen Texten kommt ein Fuchs vor, häufig findet man ihn in Fabeln. Durchgehend gilt der Fuchs in der Literatur als intelligent. Im europäischen Raum, insbesondere in Deutschland, wird er oft als listig beschrieben. Das kommt nicht von ungefähr, denn man konnte beobachten, wie Füchse auf den Rücken einer anderen Tierart sprangen, um ihre „eigene Geruchsspur zu kaschieren“ oder das sie „beim Davonlaufen den Schnee mit dem Schwanz überwedelten und so versuchten, ihre Spuren zu verwischen.“3 Meistens hat Reineke (wie er als Synonym in einigen Texten auch genannt wird) mit seiner List Erfolg, dennoch steht man ihm ablehnend gegenüber. Seine Intelligenz setzt er in den Fabeln in eigener Sache ein, handelt also aus egoistischen Motiven. Hingegen ist der Fuchs im Märchen Prinzessin Ardita ein freundliches und hilfsbereites Tier. Er ist das einzige Tier, der für Agim eine Lösung hat, um die Paradoxie aufzulösen.

Silvia Hüsler wurde am 22.02.1943 in Zürich geboren.
     Die Integration von Menschen aus anderen Kulturräumen ist für sie eine Herzensangelegenheit, was für sie im Privaten sowie in der Politik Gültigkeit hat. So engagierte sie sich bis 2000 als Vizepräsidentin in der Schweiz für Ausländerfragen. Das erste Buch passend zu diesem Thema wurde 1982 mit dem Titel Das Bärenhaus unter den Kastanien. Geschichten, Lieder und Bilder über das Zusammenleben mit Gastarbeiterkindern im Verlag Orell Füssli veröffentlicht.
     Sie ist eine der ersten Autoren, die sich mit mehrsprachiger Kinderliteratur beschäftigte, Bücher dazu schreibt und sie mit Illustrationen versieht. Der erste Band erschien 1984 im Lehrmittelverlag Zürich mit dem Titel Wo holt der Nikolaus seine guten Sachen?. Das albanische Märchen Prinzessin Ardita erschien 2003 ebenfalls im Lehrmittelverlag Zürich. Ein Teil ihrer Bücher sind in Deutschland veröffentlicht worden, wie Kinderverse aus vielen Ländern, dass 2009 im Lambertus Verlag mit der zweiten Auflage erschien. Beide Bücher hat sie mit Aquarellbildern ausgestattet.

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Erzählt wird Prinzessin Ardita in zwei Sprachen: deutsch und albanisch. Einige Begriffe werden in den Aquarellen und durch Benennung in beiden Sprachen hervorgehoben. Zudem sind alle Seitenzahlen auch in albanischer Sprache angegeben.
     Die Illustratorin Silvia Hüsler gibt in den monoszenischen Darstellungen den jeweiligen Text wieder. Es liegt demnach eine Parallelität von Bild- und Textebene vor.

Paradoxe zeichnen sich durch ihre widersprüchliche Aussage und ihrer Unauflösbarkeit aus, aber in Märchen ist alles möglich.

© read MaryRead 2015

Kinderbuch


Silvia Hüsler: Prinzessin Ardita
Deutsch – Albanisch
Princesha Ardita
Illustration: Silvia Hüsler
Übersetzung ins Albanische: Mahir Mustafa
Alter: ab 6 Jahre
28 Seiten
gebunden
erschien: 2001 / 4. Auflage: 2011
Verlag: Lehrmittelverlag Zürich
ISBN 978-3-906743-35-6
Preis: 17,50 €
Besonderheit: nur auf Anfrage beim Verlag lieferbar

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1b Vgl. Das aktuelle Universallexikon in 8 Bänden, Lingen Verlag – Bergisch Gladbach 1994, Bd. 1, S. 40, Sp. 2 / Bd. 7, S. 1674, Sp. 1
2 
Vgl. Hermann Kinder, Werner Hilgemann: dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Deutscher Taschenbuch Verlag – München 2000, S. 209
3 
Ami Ronnberg: Das Buch der Symbole, Taschen Verlag – Köln 2011, S. 278


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