Bilderbuch (literarischer Fachbegriff)
Bilderbücher und ihre zahlreichen Varianten in ihren Grundzügen
Bilderbücher sind mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Sie werden in den Ki ndertagesstätten eingesetzt und sind in einigen Kinderzimmern zu finden. Sie gibt es in vielen Größen und in vielen Varianten, sei es als „klassisches“ Buch oder als Pop-up oder als Spielzeugvariante .
Pop-up-Bücher
bezeichnet man solche, die man aufklappt und einem die Figuren quasi entgegen springen, wie man anhand der
Abbildung 1
erkennen kann. Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus dem Buch
Peter Pan
erzählt von Manfred Mai
und wurde vom Ravensburger Verlag 2011 herausgegeben
.
In
Abbildung 2
sieht man ein
Wimmelbuch
,
das zum Spielen einlädt. Die
Abbildung 2
zeigt einen Ausschnitt aus dem Buch
Mein großes Eisenbahn-Wimmelbuch
von Melanie Brockamp aus dem Coppenrath Verlag und erschien im Januar 2014. Das aufgeklappte Buch hat cirka eine Breite von 96cm und eine Höhe von etwa 32cm, also optimal für Kinder, die damit eine Straße oder dergleichen integrieren können
.
Welche Art von Literatur wird als Bilderbuch bezeichnet? Worin unterscheiden sich
Bilderbücher? Diese Fragen werden nun im Einzelnen erläutert und an konkreten Büchern erklärt
.
Die Definition lautet
:
„ […] eine für die Rezeption durch Kinder konzipierte Folge von visuellen Bildern im Medium Buch mit der Darstellung einer Handlung oder einer Szene, im Regelfall kombiniert mit Text, wobei die Bilder nicht (wie in der illustrierten Textausgabe literarischer Werke) auf die gelegentliche Illustration von Textpassagen beschränkt, sondern für die Bedeutungsbildung wesentlich sind .“ 1
1 Unterscheidung zwischen Bilder- und Elementarbücher
Bilderbücher werden in Elementar- und Bilderbuch unterschieden. Elementarbücher haben häufig überhaupt keinen Text und werden für Säuglinge / Kleinkinder konzipiert. Im Regelfall ist auf jeder Seite ein einziges Motiv mit einem einfarbigen Hintergrund. Die einzelnen Motive werden aus der unmittelbaren Umwelt eines Kleinkindes entlehnt, wie z.B. die Darstellung eines Balles. Diese Art von Illustration werden in die Kategorie „ monoszenisches Bild “ 1b eingeordnet .
Eine besondere Form der Bilderbücher sind diejenigen, die komplett ohne Text auskommen. Diese Form von Bilderbüchern sind keine Elementarbücher, schon allein deshalb nicht, weil die Illustrationen komplex sind. Häufig kommen die Illustrationen in Form von „ pluriszenisches Bild “ oder als „ Simultanbild “ 1c vor .
„ Hier müssen Begriffe und Handlungsstränge gesucht und aktiv benannt werden: Solche textlosen Bilderbücher, die gerade deswegen nicht passiv konsumiert werden können, sind für die kindliche Sprachentwicklung wichtig .“ 2
Ein Beispiel für ein Bilderbuch mit Simultanbildern ist
Die Stadt
von
Ali Mitgutsch
(
Abbildung 3
).
Auf jeder Doppelseite ist ein Ausschnitt aus einer Stadt mit sehr vielen Menschen zu sehen, die im selben Moment auf sehr unterschiedliche Arten in Beziehungen zueinander stehen
.
Ähnlich wie bei Ali Mitgutsch kommt das Bilderbuch
Gute Reise, kleiner Fisch
von Bruno Gibert
(
Abbildung 4
)
ganz ohne Text aus, aber man benötigt die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, um die Bildergeschichte im Ganzen zu verstehen. Die ersten Ansätze für diese Fähigkeit werden in den
Wimmelbüchern
,
wie von Ali Mitgutsch geübt, aber man muss noch nicht jedes Detail verstehen und nicht alle Aspekte zusammensetzen, um das Gesamte zu begreifen
.
Das Bilderbuch von Bruno Gibert ist ein Beispiel für monoszenische Bilder, da jede Illustration nur eine Szene zeigt, aber im Fortlauf der Szenen eine Erzählung entsteht
.
Obwohl beide Beispiele ganz ohne Text auskommen, so sind sie dennoch von ihrer Konzeption her unterschiedlich, aber beide fördern folgende Fähigkeit :
„ Das ‚Lesen‘ der Bilder trägt zudem zur Sensibilisierung des visuellen Wahrnehmungsvermögens bei und es vermittelt Erfahrungen, die der Sinnentnahme beim eigentlichen Leseprozess sehr nahe kommen .“ 3
2 Bilder und Text als verschiedene Varianten in Bilderbüchern
„ Das Besondere des Bilderbuchs ist vor allem seine Doppelnatur, indem es (in den meisten Fällen) Bilder und Texte zugleich anbietet, wobei die Bilder zweifelsohne den größeren Aufforderungscharakter und die tiefere Wirkung und Nachhaltigkeit haben .“ 4
Das Zusammenspiel von Illustrationen und Texten können unterschiedliche Funktionen haben, die nun im Einzelnen erläutert werden .
2.1 Parallelität von Text und Bildern
Die Konzeption einiger Bilderbücher haben die Funktion, dass Bilder die Texte wiedergeben und umgekehrt. Diese Funktion findet man häufig in der Kinderliteratur für sehr junges Publikum. Dabei verfolgt man häufig die pädagogische Absicht, Text- bzw. Sprachverständnis in der Gruppe der Kleinkinder zu ermöglichen.
Wen
n
beispielsweise
der bunte Patchwork-Elefant von
David
McKee
auf einen bestimmten Freund trifft
,
wie in dem Buch
Elmar
und seine Freunde
wird die Textaussage der jeweiligen Seite als monoszenisches
Bild
wiedergegeben. In dem genannten Beispiel trifft Elmar laut Text zum Beispiel auf den Eisbären und in der Illustration ist deutlich der Eisbär ohne der Darstellung weiterer Tiere zu erkennen
.
Einige Bilderbücher für Kleinkinder sind
zwei- oder mehrsprachig
. Neben der Parallelität von Texten und Bildern wird hierbei die Zweitsprache gestärkt. Besonders hervorzuheben ist dabei die Reihe
die kleinen Zweisprachigen
aus dem Verlag Edition bi:libri. Neben Text und Illustrationen ist auf jeder Doppelseite zusätzlich eine Symbolleiste. In dieser Symbolleiste werden bestimmte
Gegenstände, je nach Schwerpunktthema des Buches, wiederholt dargestellt in Begriff und Bild. Beispiele dafür sind:
Max fährt
mit
von Ulrike Fischer
und
Was ziehen wir heute
an
?
von Susanne
Böse. In dem Bilderbuch
Max fährt mit
stehen Fahrzeuge im Zentrum der Erzählung und in
Was ziehen wir heute an
? sind es die verschiedenen Kleidungsstücke. Diese Themen werden in beiden Büchern in der Symbolleiste wiederholt, das heißt man sieht in dem erstgenannten Buch unterschiedliche Fahrzeuge und in dem letztgenannten Kleidungsstücke.
Wenn also Texte und Bilder denselben Inhalt haben, spricht man von „ Parallelität von Bild- und Textebene “ 1d .
„ Durch die enge Beziehung zwischen Wort und Bild lernen sie (die Kinder 10 ) bildliche und sprachliche Symbole sowie Redewendungen kennen und eignen sich Werkzeuge zur Entschlüsselung unbekannter Symbole an .“ 2b
2.2 Illustrationen zur Vertiefung des Textes
In den Kinderbüchern, in denen die Illustrationen die Textaussage vertiefen, trifft man eher bei schwierigen Themen an, wie Fremdsein
.
In dem Buch
Elmar
und Rosa
von David McKee (Abbildung 8) geht es um die Frage, in welchem Kontext ist man fremd bzw. anders. Um dies für Kinder nachvollziehbar zu gestalten, wird die Elefantin Rosa in verschiedenfarbigen Elefantengruppen gezeigt
.
Neben den
Protagonisten
sind Tiere zu sehen, die mit der Handlung nichts zu tun haben, aber bestimmte innere Vorgänge verdeutlichen, wie beispielsweise die Vögel auf dem Baum, die neugierig auf die Elefantengruppe schauen, als Willi beginnt, mit seiner Stimme zu
zaubern. Oder die Affen, die auf den Bäumen sitzen und mit einem schelmischen Lächeln sich die Szenen anschauen
.
Ein weiteres Beispiel ist das
Buch
Leopold
und
der
Fremd
e
von Stephan Brülhart
.
In diesem
Bilderbuch werden die inneren Vorgänge der beiden Tierkinder gezeigt, indem der Illustrator Stephan Brülhart sich aus dem Bereich der Comics bedient und die Ängste in Gedankenblasen durch
pluriszenische Bilder
darstellt
.
Beide Kinderbücher verdeutlichen die
inneren
Vorgänge
in den Illustrationen, jedoch mit unterschiedlichen Mitteln. David McKee nimmt
Tiere mit in die
monoszenischen Bilder
auf, die, wie oben beschrieben, mit der Texthandlung nichts zu tun haben, dennoch die Aussagen vertiefen und verdeutlichen. Stephan Brülhart hingegen verwendet Gedankenblasen, in denen lediglich die beiden Handlungsträger – Puma und
Krokodil
– vorkommen, oder die beiden verschmelzen zu einer Art Sphinx
.
Beide Bilderbücher werden der literarischen Gattung
Fabel
zugeordnet. Fabeln können Kinder und Erwachsenen dazu verhelfen, einen anderen Blickwinkel auf Gegebenheiten einzunehmen.
„ Das Betrachten regt an, spontan eigene Gefühle und Gedanken einzubringen und vielleicht auch ungewohnte Verhaltensweisen zu reflektieren – kleine Experimente, mit denen die Grenzen ihrer [die Kinder sind gemeint 5 ] zu begreifenden Welt en passant erweitert werden .“ 2c
2.3 Prinzip des geflochtenen Zopfes
In einigen Kinderbüchern werden entweder im Text oder in den Illustrationen Aussagen getroffen, die in der jeweiligen anderen Form nicht gemacht wird, aber dennoch von Bedeutung sein kann
.
Ein Beispiel im Ansatz dafür ist das Buch
Ich auch!
von
Lawrence Schimel
.
Aus dem Text geht nicht hervor
,
woher der
Junge Kwame stammt, aber anhand der
monoszenischen Bilder
kann man erkennen, dass Kwame ein dunkelhäutiges Kind und der Rest der Familie hellhäutig sind. Aufgrund dessen kann man daraus schließen, dass Kwame ein Pflege- oder Adoptivkind ist
.
Wie sehr Text und Bilder ineinander übergehen können
,
wird in dem Buch
Wann
kommt Mama
?
von Tae-Jun Lee deutlich. Zunächst wird von dem Jungen, der auf seine Mutter wartet, kurz erzählt, aber sobald er sich in der Warteschleife befindet, kommen die Bilder gänzlich ohne Text aus. In diesen Illustrationen ohne Text wird einerseits sein Verlassensein sehr deutlich, andererseits
eine / seine Gedankenwelt. Der Text gibt den Lesern und Zuhörern einen Hinweis beziehungsweise Orientierung, in welcher Fragestellung sich der Junge gerade befindet, die eigentliche Geschichte befindet sich in den Bildern
.
Wenn Texte und Bilder sich gegenseitig ergänzen, dann spricht man vom „ Prinzip des geflochtenen Zopfes “ 1e .
„ Diese Seherfahrungen brechen sowohl gewohnte Betrachtungsweisen als auch die traditionelle Vorlesesituation auf. Die betrachtenden Kinder sind hier nicht auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen, sie können gleichberechtigt entdecken und eine Geschichte formulieren – es macht aber auch Spaß, gemeinsam der Handlung auf die Spur zu kommen .“ 2d
3 Zusammenfassung der verschiedenen Varianten von Bilderbüchern
Mit Hilfe von Bilderbüchern „entwickeln Kinder ihre mündliche Sprachkompetenz und ein Bewusstsein für die Schrift als Bedeutungsträger .“ 3b
Die verschiedenen Varianten von Bilderbüchern werden einerseits für unterschiedliche Altersgruppen konzipiert , wie die Elementar- und Wimmelbücher , andererseits hängt es von der pädagogischen Zielsetzung und deren Funktionsweisen ab, wie Parallelität von Text und Bildern , Illustrationen zur Vertiefung des Textes oder dem Prinzip des geflochtenen Zopfes . Die pädagogischen Zielsetzungen können Sprachförderung sein oder die Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen. Doch alle haben eins gemeinsam :
„ Bilderbücher vermitteln elementare Erfahrungen „sowohl im Umgang mit ikonischen Zeichen als auch im Umgang mit Literatur .““ 3c
– Daniela Walter –
© read MaryRead 2014
Bardola, Nicola / Hauck, Stefan / Jandrlic, Mladen / Wengeler, Susanna
:
Mit Bilderbüchern wächst man besser
Thienemann Verlag GmbH – Stuttgart – Wien 2009
Hrsg.: Burdorf, Dieter / Fasbender, Christoph / Moennighoff, Burkhard
:
Metzler Lexikon Literatur
Verlag J. B. Metzler – Stuttgart – Weimar 2007
Halbey, Hans Adolf
:
Bilderbuch: Literatur
Beltz Athenäum Verlag – Weinheim 1997
Weinkauff, Gina / Glasenapp, Gabriele v
.:
Kinder- und Jugendliteratur
Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014
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b
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c
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e
Hrsg.: Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff: Metzler Lexikon Literatur, Verlag J. B. Metzler – Stuttgart – Weimar 2007, S. 87
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b
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c
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d
Nicola Bardola, Stefan Hauck, Mladen Jandrlic, Susanna Wengeler: Mit Bilderbüchern wächst man besser, Thienemann Verlag GmbH – Stuttgart – Wien 2009, S. 39, 45, 81, 38
3
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b
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c
Gina Weinkauff, Gabriele v. Glasenapp: Kinder- und Jugendliteratur, Verlag Ferdinand Schöningh – Paderborn 2014 (2), S. 183f.
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Hans Adolf Halbey: Bilderbuch: Literatur, Beltz Athenäum Verlag – Weinheim 1997, S. 11
5
Anmerkung der Verfasserin