Julius Waldemar Grosse: Je älter du

Je älter du

Je älter du, je voller wird dein Herz,
Doch wie ein Kirchhof nur, der voll von Toten,
Die ausgelitten ihren Erdenschmerz. –

Einst war es eine Au‘, von rosenroten
Maiwolken überstrahlt, ein lust’ger Hain,
Wo dunkle Wipfel holden Schatten boten. –

Von Märchenblumen leuchtete der Rain,
In tiefer Waldnacht hundert Brunnen rauschten,
Auf Marmorgöttern blitzte Mondenschein. –

Das war dein junges Herz. Verstohlen lauschten
Gedanken, Phantasien, welche kühn
Mit Gleichgesinnten reiche Rede tauschten.

Nun stehn Denkmale rings voll Immergrün –
Denkmale rings – begrabener Gedanken,
Begrabner Träume, die im Sturm verglühn.

Verscholl’ner Tage Pläne hier versanken,
Verscholl’ner Freude Namen stehn auf Stein,
Bedeckt von Moos und blumenreichen Ranken.

Zum Kirchhof ward des Herzens Jugendhain.
Beisammen liegt, was sündig war und wacker,
Je älter du, je voller wird er sein –

Das Menschenherz auch ist ein Gottesacker!

– Julius Waldemar Grosse –

* 25.04.1828, Erfurt, Deutschland
† 09.05.1902, Torbole Casaglia, Italien

Julius Waldemar Grosse , zuweilen veröffentlichte er seine Werke unter dem Pseudonym Otfried von der Ilm, schlug zunächst die Architektenlaufbahn an, lernte während seines Studiums in Halle den deutschen Dichter und Schriftsteller Otto Roquette kennen. 1852 zog er nach München, widmete sich nun vor allem der Dichtkunst. Dort lernt er zahlreiche weitere Dichter und Schriftsteller kennen, unter anderem den Literaturnobelpreisträger Paul Heyse, der auch maßgeblich an der Gruppe „ Die Krokodile “ beteiligt war.
Mit Friedrich Schiller verbindet ihn nicht nur der gleiche Todestag, sondern er arbeitete mehrere Jahre für die Schillerstiftung. In seinen Gedichten fühlte er sich vor allem der Romantik verpflichtet.

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