Schauplatz der Literatur: Literaturhaus Frankfurt

Schöne Aussichten

Ansichtssache, Weltgeist, Beobachtungen, Schnappschüsse eines Tages in Frankfurt

Viele Literaturveranstaltungen haben ihren ganz eigenen Esprit, zumindest für mich. Für andere sind Literaturtage möglicherweise eine Mischung aus Autorenlesung, Vorlesung und Seminarbesuch an einer Universität.
     Obwohl das Internet riesig ist, gigantisch groß, kann man zufällig über das „Richtige“ stolpern. Eigentlich war ich auf der Suche nach einem ganz bestimmten Datum und kam auf die Website von Litprom mit einem Hinweis auf die Literaturtage mit dem Thema „Weltwandeln in französischer Sprache“.

Mit dem Zug fuhr ich nach Frankfurt am Main, stieg am Hauptbahnhof in eine der U-Bahn-Linien um. Die Strecke zur Haltestelle Dom/Römer war mir noch in guter Erinnerung, war ich doch erst im letzten Herbst im Rahmen der Frankfurter Buchmesse beim Literaturbahnhof, der ausnahmsweise im Dom stattfand. Aber es sollte mir noch ganz anders weiterhelfen. Es mag sein, dass man mich als hinterwäldlerisch einstuft, ein Smartphone habe ich nicht und somit auch keinen Zugang zum GPS. Ich brauche auch in einer Stadt kein GPS. Mein Erfahrungsschatz ist groß genug, um mich in Großstädten zurecht zu finden – bisher habe ich jeden Ort ohne Straßenkarte gefunden und bin ein bisschen Stolz darauf. Vom letzten Besuch des Literaturbahnhofs wusste ich, dass neben dem Dom eine Art Kulturhaus untergebracht ist, das offensichtlich auch mit Literaten zu tun hat. Ich marschierte dort hinein, fragte die beiden jungen Frauen hinter dem Tresen am Empfang nach dem Weg zum Literaturhaus. Noch während die beiden Frauen sehr darum bemüht waren, mir den Weg zu erklären, wurde mir klar, das ich mir das nicht merken kann, immerhin wusste ich aber nun, in welche Richtung ich laufen muss. Unterwegs fragte ich eine Passantin auf einer Brücke nach dem Weg, die mir daraufhin erklärte, dass ich umkehren müsse, aber von der „Alten Brücke“ aus könne man schon das Literaturhaus sehen. Sie zeigte in die Richtung und sagte, das weiße Gebäude vor dem hohen grauen Haus sei das Literaturhaus. Tatsächlich: das weiße Gebäude hob sich deutlich vom dunkelgrauen Hintergrund ab, zumal es ein herrlicher Tag mit Sonnenschein war und der Kontrast damit verstärkt wurde.
     Ich war in guter Stimmung. Es war knackig kalt, azurblauer Himmel und viel Sonnenschein. Mit dem Zug fuhr ich durch schneebedeckte Landschaften, als hätten Romantiker bezaubernde Winterlandschaften für eine Kulisse gemalt. Mehrmals hätte ich gerne den Zug angehalten, um auszusteigen und Fotos zu machen, um dort zu verweilen und den Winter von seiner schönsten Seite aufzusaugen. Eine Ahnung stieg in mir auf, woher frühere Künstler und Schriftsteller ihre Inspirationsquellen hatten, Romantiker genauso wie die aus der Weimarer Klassik und selbst Autoren wie Georg Büchner aus dem Vormärz. Der Blick von der Brücke hinüber zum Literaturhaus ließ mich jetzt erst so richtig in gute Stimmung kommen, vielleicht weil Stadt und Land kaum konträrer sein konnten, beides nahm ich in ihrer Schönheit, in ihrer Anmut wahr. Nur einmal blitzte der Gedanke auf, dass in Frankfurt auch etliche leben, die keinen Zugang zu den Vorteilen einer Stadt haben. Der Gedanke kam, als ich durch eine kurze Nebenstraße lief, auf dem Straßenschild las ich „Fahrgasse“, mit ihren Kunstgalerien. Sie boten hochwertige Kunstbilder zum Kauf an, nichts für einen kleinen Geldbeutel. Man sagt: Dort, wo viel Licht ist, sei auch viel Schatten. Vielleicht kann man auch sagen: Dort, wo viel Reichtum ist, ist auch die Armut groß. Keine Ahnung, ob die Gleichung stimmt.
    
Und dann stand ich vor dem Literaturhaus Frankfurt. Säulen wie aus dem Alten Rom, rund, glatt und weiß, verdecken die Eingangstür. Beim Versuch das Literaturhaus im Ganzen zu fotografieren, machte sich in mir eine Enttäuschung breit. Es war mir nicht möglich, das ganze Gebäude auf einem Bild zu erfassen. Wie konnte das sein? Im Vorfeld hatte ich mir Bilder vom Literaturhaus angeschaut und auf so manchem Foto ist das ganze Gebäude abgebildet. Man braucht eine gewisse Entfernung zum Literaturhaus, aber direkt vor dem Eingang verläuft die breite und vielbefahrene Straße „Schöne Aussicht“, daneben fließt der Main. Wahrscheinlich hat man die Bilder von der anderen Main-Seite geknipst. Dadurch entstand bei mir der Eindruck, dass das Literaturhaus einen großen Vorplatz hat und nicht direkt an einer Straße liegt. Zwar stimmt es, dass man die Realität fotografiert, aber die Wirklichkeit ist gefärbt vom Blickwinkel des Fotografen, seiner Sichtweise auf das Objekt. Es ist eine realistische Darstellung, zugleich aber auch nicht. Ähnlich sieht auch die heutige Literatur aus. Obwohl etliche Schriftsteller sehr darum bemüht sind, die Wirklichkeit in ihren Werken abzubilden, ganz gleich, welche Art von Realismus sie bevorzugen, ob den klassischen oder den magischen Realismus, ist die Realität im Ganzen nicht erfasst, auch dann nicht, wenn man alle Romane, Gedichte, Novellen und Erzählungen
gelesen hätte. Es ist immer ein Ausschnitt, immer eine Frage des Blickwinkels.
    
Ich öffnete die hohe schwere Eingangstür – ist die aus Eichenholz? – und stand im hellen Foyer. Ein paar Menschen wuselten herum, die meisten standen aber in Grüppchen zusammen oder hinter Tischen, Presse- und Büchertische. Vor mir sah ich eine breite Treppe, wie man sie manchmal in alten Bürgerhäusern oder englischen Herrenhäusern antrifft. Rechts ging es in ein Café – Restaurant für Gutbetuchte. An der hinteren Wand des Cafés sah ich großformatige schwarz-weiß Fotografien von verstorbenen Künstlern. Gern hätte ich vom Café Fotos gemacht, Besucher hielten sich darin auf, ich ließ es also sein. Auf der linken Seite ging es in den Raum, in dem die Literaturtage abgehalten wurden. Er war abgedunkelt, Tageslicht drang nur sehr spärlich hinein. Auf mich wirkten die Wände dunkelgrün mit einem kleinen Schuss türkis, eine Farbmischung, die ich mit den 1950er und 1960er Jahre verbinde, mit dem Muff, mit der schönen Fassade, dahinter verborgen das Leid und die Einengung, dem Verdrängen von Nazideutschland. Die Raumdecke hingegen ist champagnerweiß, die Wirkung ist bekannt: der Raum wirkt höher als er ist. Wohl fühlte ich mich darin nicht, zu dunkel und drückend, ein bisschen zu sehr auf alt-bürgerlich getrimmt, weniger Retro würde den Raum gut tun.

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Eintrittspreise für solche Veranstaltungen sind moderat, wenn man vor Ort lebt, kann man sich das auch mit einem kleinen Geldbeute leisten, dennoch trifft man überwiegend auf jene, die gutbetucht sind, die was darstellen (wollen). Schon allein die äußere Fassade des Literaturhauses wirkt groß und mächtig, für den Otto-Normal-Verbraucher hat sie auch etwas abschreckendes, mehr aber noch, dass man das Gefühl, dass man zu dem Kulturkreis nicht dazu gehört, nicht abschütteln kann und ob man will oder nicht, manch herabwürdigender Blick spricht Bände. Kultur nahe Menschen haben einen ganz eigenen Verhaltenskodex. Man begrüßt sich wie alte Bekannte, vielleicht sogar wie Freunde, beim nachfragen stellt man fest, sie kennen sich nur flüchtig, nur von kurzen Begegnungen und Small-Talks. Männer tragen bevorzugt Anzüge und anstelle eines Schlips haben sie einen Schal aus Seide oder Kaschmir, der leger um ihren Hals liegt, ein Kennzeichen, dass man nicht zur Finanzwelt gehört (zumindest nicht während einer Kulturveranstaltung), auch nicht zur Politik, aber deutlich zu denjenigen, die sich ein großes Markenauto und teure Urlaube leisten können. Bei den Frauen ist es noch auffälliger. Es wird großen Wert auf Kleidung der besonderen Art gelegt, da kann durchaus ein Rock oder Oberteil asymmetrisch sein, haben aber nichts mit Punkkleidung oder ähnliches zu tun. Diese Kleidungsstücke sind teuer und das soll auch jeder sehen, der auffällige Schmuck tut sein Übriges. In kleineren Städten trifft man auf diesen Typ bei Kulturveranstaltungen deutlich weniger, ist auch nicht nötig, da man sich tatsächlich kennt. Ebenso trifft man diesen Typ auch nicht auf der Frankfurter Buchmesse.
     Wahrscheinlich trug das Ambiente vom Literaturhaus zu diesen Beobachtungen bei, vielleicht fällt einem das in Frankfurt eher auf als anderswo.

Der Abend war schon längst fortgeschritten, als ich mich auf den Nachhauseweg machte. In der Dunkelheit entfaltet sich Frankfurt aber auch das Literaturhaus mit den zahlreichen Lichtern seinen ganz eigenen Flair. Noch hing ich in Gedanken den Literaturtagen nach. Es waren Schriftsteller aus dem Kongo, Indien, Haiti, Algerien und Vietnam zugegen, allesamt haben sie es geschafft, haben eine Position in der Gesellschaft errungen und aus ihrer Position der Stärke setzen sie sich für die Anliegen ihrer Herkunftsländer ein. Ein Hauch von weltoffenem Geist wehte durch die Räume, hoffentlich findet der Weltgeist einen Weg nach draußen.


© read MaryRead 2017

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