Rezension zu „Aus der Zeit fallen“ von David Grossman

Nachricht erhalten – ins Exil verbannt

Die regional-übliche Tageszeitung liegt auf dem Tisch. Man liest die Schlagzeilen, blättert so durch, auf der Suche nach einem interessanten Artikel. Dabei registriert man „124 Tote nach einem Bombenangriff“ im Kriegsgebiet XY. In der hiesigen Stadt hat es einen schweren Unfall gegeben. Bilanz: 3 Tote, 2 Schwerverletzte. Man blättert weiter, sieht die Todesanzeigen. Ist jemand Bekanntes dabei? Unbekannt, unbekannt, unbekannt. Plötzlich eine kleine Anzeige über ein Kind. Oh nein! Es ist das Kind unserer Nachbarn.

Die Nachricht von einem Todesfall eines geliebten Menschen erwischt uns kalt, man ist nie darauf vorbereitet. Wir werden von Trauer überwältigt, manchmal mischt sich Wut und Zorn mit hinein, vor allem tausend Fragen, wiederkehrende Fragen: Warum ausgerechnet dieser Mensch? Der hat doch noch sein ganzes Leben vor sich.
     Es gibt viele Facetten, wie Menschen mit dem Verlust eines geliebten Menschen umgehen. Wie unterschiedlich diese Facetten aussehen können, erzählt der israelische Schriftsteller David Grossman in seinem Buch Aus der Zeit fallen, mal in lyrischer Form, mal in Prosa. Die Protagonisten in diesem Buch befinden sich im Dialog, mal mit einer anderen Person, mal mit sich selbst. Was sehr beeindruckend dargestellt wird, ist die scheinbare Sprachlosigkeit, die letztendlich dann doch eine Form von Sprache findet, überwiegend ist es die lyrische Form. Diese lyrische Form bringt das Gefühl, das Denken auf den Punkt. Es ist das innere Ringen, um den Verlust zu begreifen. Am Ende steht die Erkenntnis: „doch sein Tod, sein Tod / ist nicht tot.“ (S. 122)

Man findet keine persönlichen Namen, nur allgemeine Bezeichnungen. All diese schrecklichen Nachrichten kann man keiner historischen Zeit und keinem Ort zuordnen.
     Einige Menschen erzählen von der Zeit nach Erhalt der Todesnachricht ihren Zustand mit den Worten: Die Zeit scheint still zu stehen; andere haben den Eindruck, dass sie aus der Zeit gefallen sind; einige bezeichnen es als den Gang ins innere Exil. Der Schock und die Trauer sitzen tief. Was vereint, ist die Erkenntnis, dass sie nicht begreifen werden, was geschehen ist „und den, der ich jetzt bin, nachdem es passiert ist, werd ich auch nicht verstehn.“ (S. 49)

Übersetzt hat dieses Buch Anne Birkenhauer aus dem Hebräischen ins Deutsche. Im Nachwort der Übersetzerin erklärt sie, wie es dazu kam, dass sie mit einer gewissen Freiheit den Text ins Deutsche übertragen konnte.
     In der heutigen Zeit ist es eher ungewöhnlich, dass Autor und Übersetzer eng zusammenarbeiten, doch bei diesem Buch war es so. Durch die enge Zusammenarbeit von David Grossman und Anne Birkenhauer und die kreative Freiheit bei der Übersetzung haben dazu geführt, dass Aus der Zeit fallen für uns deutsche Leser so gut nachvollziehbar ist.

Obwohl der in Jerusalem geborene Schriftsteller David Grossman sich mit dem Thema Tod auseinandersetzt, ist dieses Buch keineswegs depressiv, sondern an einigen Stellen wird die Kraft des einzelnen sichtbar. Dem Autor gelingt der Balanceakt zwischen der Trauer und den Weg der Erkenntnis, ohne dabei in romantische Vorstellungen oder gar Verklärung des Todes abzurutschen.

Geh, dreh die Zeit zurück,
empfange ihn und stirb mit ihm,
und werde dann aus seinem Tod geboren —“
(S. 98)

© read MaryRead 2013

Belletristik

 

David Grossman: Aus der Zeit fallen
Originaltitel: דמדל ץותמ לפונ(Nofel mi hutz lasman)
Untertitel im Hebräischen: Erzählung für Stimmen
Übersetzung: Anne Birkenhauer
lyrische Form / Prosa
128 Seiten
gebunden
erschien erstmalig in Israel: 2011
erschien in Deutschland: 28.01.2013
Verlag: Hanser
ISBN 978-3-446-24126-8
Preis: 16,90 € (D), 17,40 € (A)

Home > Rezensionen > Belletristik > Esprit Bücherbord > „Aus der Zeit fallen“ von David Grossman


21.
Aug. ´19

13.
Aug.´19

27.
Aug. ´19

Bilderbuch, ab 5 Jahre:
Iris Anemone Paul: Polka für Igor

deutsche Literaturwissenschaftlerin:
Dossier: Regina Pantos

Orient, Gitarre, Musik,
Slider

Buchcover, Ehering, Spiegel, read MaryRead, Literaturmagazin online
Sarkophag, rot, Buchcover,
Zum Downloaden:
Autobiografischer Roman
Drama, braun, rot, Häuser, read MaryRead, Literaturmagazin online
Slider