Film „Carol“ nach einem Roman von Patricia Highsmith

Neuauflage von Cinderella?

Bei einem sechsfach nominierten Film wie „Carol“ darf man einiges erwarten. Die Vorlage für den Film ist der Roman „ Salz und sein Preis“ von Patricia Highsmith, der 1952 unter dem Pseudonym Claire Morgan und dem amerikanischen Titel „The Price of Salt“ veröffentlicht wurde, in Deutschland erschien der Roman 1990, übersetzt von Melanie Walz .

Nominiert ist der Film unter anderem für die beste Hauptdarstellerin Cate Blanchett und Nebendarstellerin Rooney Mara. Schon die Bezeichnung von Haupt- und Nebendarstellerin ist merkwürdig. Therese soll in dem Film die Nebendarstellerin sein. Sie ist eine junge Frau, arbeitet in einem Kaufhaus, sieht aus wie ein braves Mädchen und sie ist es auch. Sie verliebt sich in Carol, dargestellt von der Oscarpreisträgerin Cate Blanchett. Auch Carol verliebt sich in Therese. Sie unternehmen eine gemeinsame Reise . Im Film ist Therese genauso anwesend wie Carol und von daher ist es nicht einsichtig, weshalb sie „nur“ eine Nebenrolle haben sollte. Der Film wäre ohne die häufige Präsenz von Therese nicht denkbar. Aber man hat zu sehr versucht, im Film möglichst häufig das Gegenteil zu vermitteln, als was die Vorlage bietet. Im Roman von Patricia Highsmith ist Therese die Protagonistin . Sie ist auch darin jung, etwas brav, vielleicht sogar bieder, zeigt wenig Verunsicherung, trotz das ihre Mutter sie schon früh ins Internat gegeben hat, um nach einer gescheiterten Ehe sich auf eine neue Partnerschaft einlassen zu können.
Carol ist im Film sowie im Buch um etliches älter als Therese, lebt in gut bürgerlichen Verhältnissen, ist verheiratet mit Harge, gespielt von Kyle Chandler, mit dem sie gemeinsam eine Tochter hat. Im Film ist die Tochter ungefähr drei oder vier Jahre alt, im Roman ist sie zehn. Da die Tochter weder im Roman noch im Film eine tragende Rolle hat, so ist das Alter von ihr belanglos, eigentlich. Jedoch ist der Film auf Zuspitzung ausgerichtet, es erregt beim Zuschauer mehr Mitleid, wenn es um ein kleines Kind, um ein Kindergartenkind handelt.
Den Rest des Films kann man sich schon an drei Fingern abzählen. Carol und Harge sind dabei sich zu trennen, Carol hält an Therese fest, Therese umgekehrt ebenso. Dazwischen wird der Zuschauer auf die nächsten Geschehnisse vorbereitet. Als die beiden auf dem Weg nach Waterloo sind, also dem gleichnamigen Ort, der historisch schon belastet ist (Napoleon wird im Juni 1815 bei Waterloo geschlagen, sein Heer wird vernichtet), sind am Wegrand tote Vögel zu sehen. Es ist vorhersehbar, dass es in Waterloo zu einer Wende kommt, an diesem Ort trennen sich die beiden Frauen. Im Roman hingegen ist es Omaha, der Ort, an dem die beiden Frauen eigene Wege gehen. Therese bleibt jedoch für einige Zeit vor Ort, im Film reist sie sofort ab. Patricia Highsmith lässt Therese in Omaha von einem Teenager zum Erwachsenen werden, eine junge Frau, die neben dem Liebesgefühl, auch Wut und Zorn entwickeln kann, aber auch lernt, Menschen zu verzeihen, die beruflich weiß, wohin sie möchte. Noch ist sie ratlos, aber versteht immer besser, das auch sie nicht weiß, wo sie hingehört. Sie spielt mit dem Gedanken, zu Richard, der sie heiraten möchte, zurückzukehren. Kurz vor Omaha beginnt ihre Entwicklung, denn sie fährt das letzte Stück mit dem Auto, bis dahin war es Carol, die die ganze Strecke gefahren ist.
Unterwegs übernachten sie im Film mal in einem Motel, in der Präsidentensuite auf Wunsch von Therese, mal in einem Hotel. Die Präsidentensuite ist eine völlige Übertreibung der Namensgebung, es ist ein heruntergekommenes Zimmer, von Komfort kann keine Rede sein. Hingegen ist das Hotel vom Feinsten. Wenn nicht Therese in einer Szene den Gardinenstoff bewundern würde, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Therese solche Hotels von klein auf gewohnt ist. Sie betritt das Hotel, als wäre es für sie das Normalste von der Welt, kein unsicherer Schritt, zielgerichtet geht sie durch das Foyer, kein suchender Blick, benötigt keine Unterstützung von Carol. Therese bewegt sich in der High-Society als würde sie schon immer dazu gehören, doch weder der Arbeitsplatz im Kaufhaus noch die Einrichtung ihrer Wohnung lassen diesen Schluss zu. Ihre Kleidung und ihr Benehmen dagegen entsprechen in keinster Form den ärmlichen Verhältnissen. Sie weiß sich sicher auf dem Parkett zu bewegen, an ihrem Arbeitsplatz genauso wie beim ersten Betreten des stattlichen Hauses von Carol. Die Menschen können sie zwar verunsichern, das aber eher auf ihr junges Alter zurückzuführen ist als auf das Aufeinanderprallen von zwei Welten .
Patricia Highsmith erwähnt kein gehobenes Hotel, nur einmal betritt Therese das Foyer eines Hotels :

Dieses Foyer würde sie nie vergessen, die Menschen, die altmodische Holzvertäfelung am Fuß der Rezeption und den Mann im dunklen Mantel, der über seine Zeitung hinweg zu ihr hersah und dann in seinem Sessel neben der schwarz und cremefarben gemusterten Marmorsäule noch tiefer rutschte und weiterlas .“ 1

Schaut man sich den Film an ohne den Roman gelesen zu haben, kann man nur zu einem Schluss kommen: Cinderella ist neu aufgewärmt worden, nur das es dieses Mal eine homosexuelle, eine lesbische Liebesbeziehung ist. Doch damit wird man dem Film nicht gerecht. Regisseur Todd Haynes hat sich überwiegend an die Vorlage gehalten, einerseits; andererseits hat er manche Szenen und Details umgedreht, wie, das Carol der Mittelpunkt des Films sein soll. Er hat mit seinem Film einiges gewagt, denn der Roman von Patricia Highsmith ist nüchtern und sachlich, dass die beiden Frauen ineinander verliebt sind, ist kaum nachzufühlen, weder Kitsch noch eine Verdichtung von Gefühlen lassen den Leser teilhaben an ihrem Liebesgefühl.

Eines ist dem Regisseur, trotz vieler Mankos, ausgezeichnet gelungen: Normalerweise ist man von einem Film enttäuscht, wenn man den Roman oder das Kinderbuch schon im Vorfeld gelesen hat. Es liegt vor allem wohl daran, dass man das Aussehen sowie die Anordnung der Charakteren schon nebelhaft vor sich sieht, man hat seine persönlichen Ideen, worin der Schwerpunkt liegen sollte, was einem wichtig erscheint und das ist bei jedem Menschen anders. Doch Todd Haynes „zwingt“ einen dazu, den Roman gelesen zu haben, dann wird man vom Film nicht enttäuscht, erst dann entdeckt man die Clous, die er sich erlaubt hat und dann beginnt es erst, interessant zu werden. Leider wird man nirgendwo darauf hingewiesen und so wirkt der Film langweilig, gedreht nach einem Grundmuster, was man schon zuhauf kennt. Es ist absolut ratsam, den Roman „Salz und sein Preis“ von Patricia Highsmith vor dem Gang ins Kino zu lesen, dann lohnt es sich, den Film anzuschauen .

– Corinna Klein –
© read MaryRead

Hafenbericht


Patricia Highsmith: Carol | Salz und sein Preis
Originaltitel: The Price of Salt
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Melanie Walz
Roman
Taschenbuch
462 Seiten
erschien: 23.06.2015 (inzwischen 2. Auflage)
Verlag: Diogenes
ISBN 978-3-257-24324-6
Preis: 13,00 € (D), 13,40 € (A)


Fotos: rund um den Film „Carol“ aus dem Begleitheft von dcm

1 Patricia Highsmith: Salz und sein Preis, Diogenes Verlag – Zürich 2005, S. 263f.


Ähnliche Beiträge:

Rezension
Ngcowa, Sonwabiso : Nanas Liebe
Kein Romeo und Julia
Nana ist eine junge Frau, die in einer armen und konservativen Gesellschaft aufwächst. In diesem konservativen Umfeld, die ihre Moral hauptsächlich aus dem Christentum ableitet, können Frauen ermordet werden, sobald der …
mehr >
von Katja Berg / 05.02.2015 / Jugendroman, ab 13 Jahre


Hafenbericht
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ und „Altes Land“
Gemeinsamkeit von J.K. Rowling und Dörte Hansen
Der Coup von zwei Schriftstellerinnen – J.K. Rowling und Dörte Hansen – die ihnen zu anfangs kaum jemand zugetraut hatte, wahrscheinlich sind sie selber vom Erfolg überrascht, die die Literaturwelt … mehr >
von Andrea Müller / 28.01.2016 / Literaturverfilmung


Rezension
Delacourt, Grégoire: Alle meine Wünsche
Hauptgewinn im Lotto – Jackpot im Leben?
Aus der Befürchtung heraus, wenn bekannt werden würde, dass sie, Jocelyne, das große Los gezogen hat und nun stinkreich ist, dass nicht mehr sie als Mensch von Bedeutung ist, sondern nur noch ihr Geld, schweigt sie; sie …
mehr >
von Andrea Müller / 11.03.2013 /
Roman

Dieser Beitrag wurde unter Literaturverfilmung abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink .

2 Antworten auf Film „Carol“ nach einem Roman von Patricia Highsmith

  1. Ja, habe natürlich den Schluss gelesen. Meiner Meinung nach muss nan aber nicht das Buch vorher gelesen haben, um sich den Film zu erschließen, da der Film eine eigenständige Story entwickelt. Schön wäre es natürlich, wenn man über den Film zum Buch kommt.

  2. Die Kritik kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Das Drehbuch (von Phyllis Nagy) hat den Roman wundervoll umgesetzt und an den richtigen Stellen verändert. Die Reise der beiden aus dem Buch für den Film so zu übernehmen, wäre völlig un-visuell gewesen. Literatur und Film sind nun mal zwei sehr unterschiedliche Kunstformen. Ich liebe diesen Roman, ich liebe diesen Film, einer der besten LGBT-Filme überhaupt und Todd Haynes ist einer der besten Regisseure des amerikanischen Autorenkinos. „Carol“ hat übrigens unzählige Nominierungen und Preise bekommen. Vollkommen zu Recht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *