„Alle meine Wünsche“ von Grégoire Delacourt

Hauptgewinn im Lotto – Jackpot im Leben?

Wer hat nicht schon davon geträumt, eines Tages an viel Geld zu kommen. Einige hoffen darauf, eine Arbeitsstelle zu finden, bei der man einen schwindelerregenden Lohn bekommt, die meisten hoffen darauf durch Gewinnspiel wie Roulette, Poker oder Lotto endlich abzuräumen. Was man mit all dem Geld anstellen könnte… Die Träume sind vielfältig und Jocelyne hat im Roman „Alle meine Wünsche“ von Grégoire Delacourt ihre ganz besonderen Vorstellungen .

Der Roman „Alle meine Wünsche“ beginnt mit den Worten „Man lügt sich immer an .“ 1 Diese Eröffnungsworte sind wie ein Hammerfall und schnell stellt sich die Frage: Inwiefern lügt man sich immer an? Macht man sich in Gedanken Besser und / oder Schöner als man ist? Oder hat man sich grundsätzlich eine Lebenslüge aufgebaut ?
Das Thema „Lüge – Wahrheit“ zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Erstaunlicherweise werden aber nicht so sehr die Lügen der anderen aufgedeckt, sondern die der Protagonistin Jocelyne indem sie sich selbst reflektiert .

Der zweite rote Faden ist die Frage nach dem Geld. Bei einem Gewinn von 18 Millionen Euro muss die Frage nach dem Geld gestellt werden. Grégoire Delacourt stellt allgemeine Fragen, wie „Bei wie viel fängt ein Preis auf Nachfrage an ?“ 2 Der Schriftsteller Grégoire Delacourt , der am 26.07.1960 geboren w urde , lässt durch die bescheiden-lebende 47 jährige Frau eine interessante Feststellung machen: „Reich sein heißt, […] weil man die Überheblichkeit besitzt zu glauben, dass man alles ändern kann .“ 3
Aus der Befürchtung heraus, wenn bekannt werden würde, dass sie, Jocelyne, das große Los gezogen hat und nun stinkreich ist, dass nicht mehr sie als Mensch von Bedeutung ist, sondern nur noch ihr Geld, schweigt sie; sie schweigt gegenüber ihren Freunden, sie schweigt gegenüber ihren beiden erwachsenen Kindern, sie schweigt gegenüber ihren Ehemann. Aber in ihrem Wohnviertel, ein Vorort von
Paris , ist schon längst bekannt, dass jemand aus ihrer Nachbarschaft den großen Coup gelandet hat und so lauern sie alle darauf, ob sich jemand verändert und eine Luxuskarosserie vor seiner Tür stehen hat. Doch nichts dergleichen geschieht. Zunächst sieht es so aus, dass die Ich-Erzählerin durch ihr Schweigen sich schützen kann ohne zu ahnen, dass sie genau mit diesem Schweigen eine Katastrophe herbeiführt. Ihr Ehemann findet den Scheck und setzt sich ohne ein Wort ab. Der Ehemann fährt nach Brüssel, also genau in jene Stadt, wo die Europäische Union und die NATO ihren Sitz haben. In Brüssel werden Gesetze für die gesamte EU gemacht, aber sie entscheiden nicht nur über Gesetze, sondern auch, welcher Staat finanzielle Unterstützung und zu welchen Bedingungen erhalten kann, wie es am Staat Griechenland seit ein paar Jahren deutlich wird .

Brüssel wird zu einem Schauplatz von weitreichenden Entscheidungen über andere. Dieser Schauplatz wird im Roman noch verstärkt, als der Ehemann über „Waterloo“ schlendert, der Inbegriff für die Niederlage Napoleons. Demnach hat Grégoire Delacourt die Stadt Brüssel nicht zufällig ausgewählt, sondern es ist ein Hinweis, was mit dem Ehemann geschehen wird: andere entscheiden und richten über ihn. Er sitzt im Zentrum der Macht und ist doch ein Gefangener seiner Persönlichkeit und des Geldes. Er sitzt im Zentrum der Macht und ist doch ein Gefangener seiner Persönlichkeit .

Da der Leser durch Klappentext und ähnliches ziemlich deutlich darauf hingewiesen wird, dass es in dem Roman „Alle meine Wünsche“ um einen hohen Lottogewinn handelt, geht man mit einer gewissen Erwartungshaltung an das Buch. Durch diese Erwartungshaltung werden viele Leser zuerst enttäuscht sein, da die Frage kursiert: Wann endlich kommt dieser Lottogewinn zum Tragen? Dabei kann es schnell geschehen, dass der erste Teil der Lektüre als langatmig empfunden und deshalb vieles überlesen wird. Um aber diesen Roman in seiner Tiefe begreifen zu können, benötigt man genau diesen ersten Teil .
In dem Moment, wo dem Leser klar wird, dass der Ehemann mit dem Geld durchgebrannt ist, nimmt der Roman Fahrt auf und der Leser wird hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung, dass es ein gutes Ende gibt und dem Bangen, dass es nicht gut ausgehen kann .
Der Wendepunkt des Romans findet im letzten Drittel statt, nämlich als die enttäuschte Jocelyne den französischen erotischen Roman „Die Schöne des Herrn“ von Albert Cohen mal wieder gelesen hat, in dem beschrieben wird, wie sexuelle Leidenschaft in eine Qual umschlagen kann; sie wacht völlig erschöpft an dem Morgen auf, „Wo alles zusammenbricht .“ 4

Der französische Schriftsteller Grégoire Delacourt verwendet so gut wie nie die Zeichen für wörtliche Rede und so ist man als Leser immer wieder verunsichert, ob die Hauptfigur gerade denkt oder redet. Nach einiger Zeit stellt man fest, dass es belanglos ist, ob sie redet oder denkt, denn der Inhalt ist von Bedeutung .
In der Literatur werden gerne dreifache Wiederholungen verwendet. Der Autor bricht des Öfteren diese üblichen Stilmittel, was beispielsweise an den vier Wunschlisten, die zuerst bescheiden beginnen, um sich dann von den Ansprüchen her von Mal zu Mal zu steigern, deutlich wird. Außerdem zeigt Delacourt, dass er mit einigen Beschreibungen, wie „brutale Zärtlichkeit 5 , einen scheinbaren Widerspruch darstellt, wenn man es losgelöst vom Text liest, aber genau mit solchen Beschreibungen trifft er den Nagel auf den Kopf .

Dieser kurze Roman, der gebunden mit treffender schöner Covergestaltung vorliegt, hat zahlreiche Facetten und einen Tiefgang, teilweise philosophischer Natur wie zum Beispiel das Dilemma unseres Wirtschaftssystems, das man nur selten im Büchermeer findet .

– Andrea Müller –
© read MaryRead

Belletristik

Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche
Originaltitel: La liste de mes envies
Übersetzung aus dem Französischen : Claudia Steinitz
Roman
127 Seiten
gebunden
erschien erstmalig in Frankreich: 2012
erschien in Deutschland: 12.09.2012
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN 978-3-455-40384-8
Preis: 15,99 € (D), 16,50 € (D)

Angaben zum Taschenbuch :
128 Seiten / Taschenbuch / 1. Auflage: 10.03.2014 / Verlag: Heyne
ISBN 978-3-453-41036-7
Preis: 8,99 € (D), 9,30 € (A)


1 Vgl. Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche. Hoffmann und Campe 2012 (3), Seite 7
2 Ebenda, Seite 50
3 Ebenda, Seite 68
4 Vgl. ebenda, Seite 87
5 Ebenda, Seite 93

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