„Die Nervensäge, meine Mutter, Sir Tiffy, der Nerd & Ich“ von Michael Gerard Bauer
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Der ungewöhnliche lange Buchtitel des Jugendromans zählt sämtliche Protagonisten auf und es ist kein Zufall, dass das ICH in großen Lettern gesetzt wurde. Um dieses ICH dreht sich alles, nicht weil es sich hierbei um eine ausgeprägte Egoistin handeln würde sondern aus dem sehr schlichten Grund, dass sie die Ich-Erzählerin ist. Sie ist Schülerin der zehnten Klasse, fühlt sich dort nicht wohl, irgendwie als Fremdkörper. Nachdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen, musste sie mit ihrer Mutter umziehen – was ihr überhaupt nicht in den Kram passte und so beschloss sie nur noch ihre dunkle Seite zu zeigen, bedeutet im Klartext möglichst zickig zu sein, jeden anzublaffen, niemandem ein Lächeln schenken. Das gute am permanenten zickig sein ist, dass man sich selber am aller wenigsten aushält, doch es kommt natürlich auch bei den Mitmenschen auf Dauer nicht gut an. Sie wird zu einer Außenseiterin, diese Rolle gefällt ihr aber auch nicht. Immerhin ist ihr klar, dass sie und zwar ausschließlich sie, was ändern muss, doch da gesellt sich eine Nervensäge – neben ihr – in ihr Leben. Zwei Nervensägen gleichzeitig, das ist kaum zum auszuhalten.
Scheidungskinder tun sich eher schwer mit der Trennung ihrer Eltern zurecht zu kommen, vieles hängt davon ab, wie Eltern in der Folgezeit damit umgehen, inwiefern sie es aufgefangen bekommen.
Marguerite Butt hat das Glück, dass sie eine verständnisvolle Mutter hat, die zugleich in der Lage ist, ihr dennoch Grenzen aufzuzeigen; doch Grenzen schreien förmlich danach, überschritten zu werden.
Die fünfzehnjährige, fast sechzehnjährige Teenagerin hat ganz normale Allüren einer Pubertierenden, das Aussehen ist ihr genauso wichtig wie ihre Wirkung auf andere. Zuweilen fragt man sich, was eigentlich ihr Problem ist, insbesondere dann, wenn man Jugendliche betrachtet, die sich ganz anderen Herausforderungen stellen müssen, schon allein deshalb ist die Nervensäge genau der Richtige, der ihr den Kopf zurecht rückt.
Die Nervensäge ist Krankenpfleger, der neue Partner ihrer Mutter, der die Musik aus den 1960ern und 1970ern bevorzugt, man könnte ihn durchaus als einen Alt-68er bezeichnen wenn er dafür nicht zu jung wäre, um aktiv an der Revoluzzer-Zeit teilgenommen zu haben. Ein äußerst sympathischer Typ, der die Klaviatur der Ironie sowie der Coolness im Schlaf beherrscht. Gut, seine spontanen musikalischen Einlagen können durchaus nerven.
Sir Tiffy ist eine alte heruntergekommene Katze, die sich am liebsten in der Nähe von Mag (ihr Spitzname, den sie aber gar nicht mag) herumtreibt, was sie ganz und gar nicht witzig findet, vielmehr überlegt sie sich, wie sie diese wieder los wird. Außerdem kann die Ich-Erzählerin nicht ausschließen, dass Sir Tiffy ein Geist oder Dæmon von der Nervensäge ist ähnlich wie im Film „Der goldene Kompass“. Überhaupt nehmen Filme kleine Nebenschauplätze im Roman ein. Kein Wunder, denn zum einen möchte Mag selbst zum Film, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, zum anderen ist ihr Vater ein berühmter Regisseur. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm…
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Ähnlich wie das kurze aufblitzen der Filme tritt mehrmals wie aus einem mystischen Nebel das Drama „Macbeth“ von William Shakespeare auf. Davon sollte man sich keineswegs abschrecken lassen, da das Drama lediglich für Mag von Bedeutung ist, genau genommen, soll sie darüber einen Essay schreiben. Sie strebt für ihren Essay das Ergebnis „sehr gut“ an.
Und natürlich spielen auch Jungs eine Rolle, einer davon ist der Nerd (Nerds sind so was wie Experten in einem Fachgebiet). Nerds können unglaublich hilfreich sein, neigen jedoch dazu, Außenseiter zu sein, denken in Kategorien die für Normalsterbliche nicht nachvollziehbar sind.
Muss man noch was zur Mutter sagen? Eine ganz passable Frau, die noch träumen kann zugleich mitten im Leben steht, die den Spagat zwischen ihrem neuen Partner und ihrer Tochter mit Bravour hinbekommt.
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Aus unerfindlichen Gründen hat sich in Kinder- und Jugendbüchern zweierlei eingenistet: Es muss eine erkennbare Entwicklung bei den Hauptakteuren geben, in diesem Roman ist es Mag, und es muss ein Happy End geben. Beides tut diesem Roman nicht besonders gut. Man merkt ziemlich genau die Stelle, als der australische Schriftsteller Michael Gerard Bauer daran dachte, dass Mag mithilfe von Erkenntnissen, die natürlich von Erwachsenen herbeigeführt werden, ihr Verhalten zum Positiven hin ändert und man bemerkt sehr genau die Stelle, als sich der Autor überlegte, dass das Buch ein Happy End haben muss. Somit bekommt der Roman den Anstrich von „Alles wird gut“ solange man sich darum bemüht. Das ist für all jene, die sich mit einer Realität auseinandersetzen müssen in der nicht alles zu einem guten Ende führt, wie eine Watschen ins Gesicht. Mag sein, dass sich viele Leser ein Happy End wünschen aber noch mehr wünschen sie sich eine schlüssige Überraschung. Schaut man über dieses Manko hinweg, ist der Jugendroman lesenswert. Teenager fühlen sich verstanden, Erwachsene können an so mancher Stelle schmunzeln. Spätestens seit dem man den Roman „Das Pubertier“ von Jan Weiler lesen kann oder wer sich den gleichnamigen Mehrteiler bei ZDF angeschaut hat, kann sich bei der überspitzten Darstellung von Pubertierenden herzhaft lachen (zumindest Erwachsene, noch mehr wahrscheinlich betroffene Eltern).
Ach ja, die Klammern sowie die stellenweise flapsige Sprache ist lediglich so etwas wie eine Spiegelung des Buches.
Michael Gerard Bauer: Die Nervensäge, meine Mutter, Sir Tiffy, der Nerd & Ich
Originaltitel: The Pain, my Mother, Sir Tiffy, Cyber Boy & Me
Übersetzung aus dem Englischen: Ute Mihr
Kinderbuch
Alter: ab 12 Jahre
279 Seiten
gebunden
Format (H x B x T): 216 x 146 x 26 mm
Gewicht: 469 g
erschien: 29.01.2018
Verlag: Hanser
ISBN: 978-3-446-25862-4
Preis: 16,00 € (D), 16,50 € (A)
E-Book: 11,99 € (D, A)Home > Rezensionen > Kinderbuch > 11 bis 13 Jahre > „Die Nervensäge, meine Mutter, Sir Tiffy, der Nerd & Ich“ von Michael Gerard Bauer
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