Theodor Storm: Für meine Söhne
Für meine Söhne
Hehle nimmer mit der Wahrheit!
Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
Doch, weil Wahrheit eine Perle,
Wirf sie auch nicht vor die Säue.
Blüte edelsten Gemütes
Ist die Rücksicht; doch zuzeiten
Sind erfrischend wie Gewitter
Goldne Rücksichtslosigkeiten.
Wackrer heimatlicher Grobheit
Setze deine Stirn entgegen;
Artigen Leutseligkeiten
Gehe schweigend aus den Wegen.
Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen würdest zu begehren,
Halte dich zu wert, um gastlich
In dem Hause zu verkehren.
Was du immer kannst, zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;
Aber hüte deine Seele
Vor dem Karrieremachen.
Wenn der Pöbel aller Sorte
Tanzet um die goldnen Kälber,
Halte fest: du hast vom Leben
Doch am Ende nur dich selber.
– Theodor Storm –
aus: Herausgeber: Georg J. Plotke: Der Briefwechsel zwischen Paul Heyse und Theodor Storm, 1. Band 1854 – 1881, J.F. Lehmanns Verlag, München, 1917, (S. 2)
* 14.09.1817, Husum, Deutschland
† 04.07.1888, Hanerau-Hademarschen, Deutschland
Theodor Storm erwähnt dieses Gedicht im Brief an Paul Heyse im Oktober 1854 unter dem Stichwort „Auch lege ich Ihnen einige Werke bei“. Zu seiner Zeit ist es einer seiner bekanntesten Gedichte.
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von Ulrike Panther / 14.09.2017
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