„Bus fahren“ von Marianne Dubuc
Versammlung der Tiere und das Rotkäppchen
Wie aus einer Erzählung viele Geschichten werden und wie nach dem Passieren eines Tunnels sich alles verändert
Man weiß nie so Recht, ob die erste Busfahrt für ein Kind oder für die Eltern aufregender ist. Im Bilderbuch „Bus fahren“ von Marianne Dubuc fährt ein Kind mit dem Bus zu seiner Oma. Etliche Tiere sind ebenfalls mit dem Bus unterwegs.
Das Kinderbuch
ist ein klassischer Fall vom
Prinzip
des geflochtenen Zopfes
.
Unterhalb eines Bildes wird aus der Sicht des Kindes in
Ich-Erzählform die Gedanken und Gefühle berichtet. Es ist wie ein innerer Monolog. Würde man nur den Text im Auge behalten,
würde man nicht bemerken, dass während der Fahrt einiges geschieht. Auf den ersten Seiten fällt einem der riesengroße Bär auf und neben ihm sitzt eine Schildkröte. Wie groß der Bär ist, fällt aber erst so richtig auf, als er sich im Bus aufrichtet und seinen Kopf einziehen muss, um nicht an die Decke zu stoßen. Die Schildkröte hingegen versteckt sich plötzlich in ihrem Panzer. Anscheinend hat sie Angst vor den gerade eingetroffenen Maulwürfen. Komisch, kurz zuvor lächelt sie noch über die unterirdisch lebenden Tiere. Versteckt sie sich, weil sie mit den Maulwürfen spielen will?
Zunächst erscheinen einem die Illustrationen unscheinbar, doch nach und nach entpuppt sich eine Geschichte, dann noch eine und noch eine. Zum einen sind es Alltagsgeschichten
,
die jeder erlebt, der regelmäßig mit dem Bus fährt. Leute steigen aus, andere ein. Die einen dösen vor sich hin, andere sind in Gesprächen. Aber als der Bus durch einen Tunnel fährt, ist danach nichts mehr, wie es vorher war. Ein kleines Maulwurfkind ist offensichtlich in den Panzer der Schildkröte geklettert und sein Kopf lugt nun freudestrahlend heraus. Mit all diesen vielen kleinen fast unscheinbaren Begebenheiten wird die Busfahrt lebendig, das Langweilige ist wie weggeflogen
.
Dieses Bilderbuch wurde für den
Deutschen Jugendliteraturpreis
2016
nominiert. Die Jury hat dafür folgende Begründung
:
„
Bus fahren gehört zum Alltag vieler Kinder. Aber sich wie Carla alleine auf so eine Fahrt zu begeben, verlangt Mut und ist etwas Besonderes. Im Bus sitzen schon
Hasen in Schuluniform, ein schlafendes Faultier, eine strickende Katze, eine kleine Maus mit Koffer und eine Schildkröte mit Provianttasche. An den Haltestellen steigen Tiere aus und ein, und der Blick aus dem Fenster macht neugierig auf die Wartenden. Als eine Wolfsfamilie zusteigt, werden die Fahrgäste unruhig, und nach der Fahrt durch einen dunklen Tunnel sitzt kein Fahrgast mehr auf seinem Platz. Kurz vor der Endstation wartet die Großmutter auf Carla.
Das schmale Querformat und die doppelseitige Bildgestaltung greifen das Innere eines Busses auf. Marianne Dubuc erzählt fast textlos in feinen Bunt- und Bleistiftstrichen, was auf dieser kurzweiligen Fahrt passiert. Ihre
kleinteiligen Zeichnungen in matten Farben laden zum genauen Hinsehen ein. Immer wieder kann man zurückblättern und Neues entdecken, eine Geschichte (er)finden, die sich hinter einer Person oder einem Gegenstand verbirgt. In der Auswahl der tierischen Fahrgäste zitiert Dubuc Gestalten aus der klassischen Kinderliteratur wie Märchen
,
Kinderlied
und
Bilderbuch
und erzählt dabei zeichnend viele kleine Geschichten
.“
Beim genaueren Hinsehen könnte man meinen, dass das Kind aus dem Märchen
„
Rotkäppchen“ von den Gebrüdern Grimm oder von Charles Perrault entsprungen sei. Es hat einen Korb bei sich, trägt eine rote Jacke (anstelle der roten Kappe) und ist auf dem Weg zu ihrer Großmutter. Ein Wolf ist zwar plötzlich auch im Bus, aber der ist völlig harmlos: er verkauft Blumen an die Fahrgäste. An einer Stelle denkt man vielleicht an das Lied „Fuchs du hast die Gans gestohlen…“, nur das der Fuchs im Bus keine Gans stiehlt sondern ein Büchlein oder ähnliches.
Obwohl die kanadische Schriftstellerin im Bilderbuch „Bus fahren“ die Intertextualität bevorzugt, so ist es dennoch keine zwingende Voraussetzung, die Märchen, Lieder und ähnliches kennen zu müssen, um die Handlung zu verstehen. Wenn Kinder aber in den Figuren Ähnlichkeiten mit bekannten literarischen Texten entdecken, so haben sie Anknüpfungspunkte
.
Es ist ein wunderschönes Bilderbuch, das zahlreiche Geschichten enthält, die gefunden werden wollen. Sehr empfehlenswert .
–
Eva Wespe
–
©
read MaryRead
Marianne Dubuc , studierte Grafikdesign an der Universität Québec in Montréal / Kanada. Sie illustriert nicht nur Kinderbücher, sondern schreibt auch die Texte selbst. Ihr Pappbilderbuch Meine kleine große Welt wurde 2011 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert .
Marianne Dubuc
:
Bus fahren
Originaltitel: L’Autobus
Illustration: Marianne Dubuc
Übersetzung aus dem
Französischen
:
Julia Süßbrich
Bilderbuch /
Alter
:
ab 3 Jahre
/
40 Seiten
Format (H/B/T): 178 mm x 280mm x 6mm
Gewicht: 332g /
erschien: 27.07.2015
Verlag: Beltz & Gelberg
ISBN 978-3-407-82088-4
Preis: 13,95 € (D), 14,40 €
(A)
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