Foto: © Svea Pietschmann / ZDF
Viel Lärm um nichts
Die heiße Phase der Literatur ist seit der Bekanntgabe von der Longlist zum Deutschen Buchpreis eingeläutet, allmählich bereitet man sich mental auf die Frankfurter Buchmesse vor und traditionell gehören die Monate August und September zu den sensationellen Neuerscheinungen, doch nach der Sendung Das literarische Quartett bleibt vor allem eines haften: Ratlosigkeit. Dabei war der Auftakt von Maxim Biller vielversprechend .
Neben den festen Literaturkritikern in der Sendung Das literarische Quartett – Christine Westermann, Maxim Biller und mit dem Moderator Volker Weidermann – war Mara Delius als Gast eingeladen. Mara Delius arbeitet seit ungefähr fünf Jahren als Feuilletonredakteurin bei Die Welt . 2008 hat sie unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geschrieben, etwas, was sie mit Maxim Biller und Volker Weidermann teilt. Der letztgenannte leitete von 2003 bis 2015 gemeinsam mit Claudius Seidl das Feuilleton. Maxim Biller schreibt die satirischen Kolumnen Moralische Geschichten für die Sonntagszeitung .
Dahinplätschernde und langweilige Sendungen haben einen Vorteil: Da man auf etwas Spannendes wartet, hört und sieht man genauer hin als sonst und ja, es gibt
Aphorismen und Perlen, über die man nachdenken kann und vielleicht auch sollte. Zum Beispiel über das Gebaren der Literaturkritiker, damit sind dieses Mal nicht die vier gemeint, die in der Sendung waren, sondern im Allgemeinen und bei Elena Ferrante im Besonderen. Ein amerikanischer renommierter Literaturkritiker hat den Roman
Meine geniale Freundin
hochgelobt. Wer sollte in den USA noch den Mut aufbringen, dieser Kritik zu widersprechen, vor allem dann, wenn man noch Karriere machen möchte? Welche Sogwirkung hat solch eine Kritik im Ausland? Viele werden der positiven Kritik folgen, um nicht Gefahr zu laufen, als möglicher Ahnungsloser der Gegenwartsliteratur zu gelten. Was geschieht, wenn ein Buch schon besprochen wird, bevor eine Übersetzung auf dem Markt erhältlich ist? Es entsteht ein Hype. Jeder will den Roman unbedingt haben, ob es gelesen wird, sei dahin gestellt. Üblicherweise darf eine Buchbesprechung erst an dem Tag des ersten Verkaufstages veröffentlicht werden, aber bei Elena Ferrante hat offensichtlich der Suhrkamp Verlag die Freigabe bei einzelnen Medienvertretern schon im Vorfeld
abgegeben. Schon dieser Vorgang wäre mindestens eine Kolumne wert. Sandra Kegel konnte laut Suhrkamp Verlag ihre höchst positive Kritik schon in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
veröffentlichen, obgleich der Roman erst am 29. August 2016
erscheint
.
Unerwähnt blieb in der Sendung, dass auch der Roman
Die Unvollkommenheit der Liebe
von Elizabeth Strout ebenfalls noch nicht im Handel erhältlich ist.
Einen ähnlichen Hype erlebte Deutschland vor vier Jahren. Im Herbst 2012 erschien das
Buch
1913
.
Sommer des
Jahrhunderts
von
Florian Illies. Kaum war es auf den Markt, konnten sich die Kritiker kaum noch einkriegen, fast alle lobten es in den höchsten Tönen, auch Mara Delius war von dem Buch angetan. Nur wenige äußerten vorsichtige Kritik an diesem Buch. In sehr kurzer Zeit rangierte das Sachbuch (ist es ein Sachbuch?) auf der Spiegel-Bestseller Liste
auf Platz 1. An und für sich mit nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen, aber da viele überregionale Zeitungen so positiv sich über das Buch äußerten, wollte es plötzlich jeder haben und viele von ihnen waren anschließend enttäuscht
.
Maxim Biller ließ kaum ein gutes Haar an dem Roman
Meine geniale Freundin
von Elena Ferrante. Hingegen war Mara Delius zu Beginn durchaus angetan, bezeichnete das Werk als ein Frauenbildungsroman, jedoch nicht in der herkömmlichen biederen Weise und auch der Moderator sprach von einem „großartigen Roman“. Am Ende wurde plötzlich daraus eine Bewertung 0 : 4. Der Zuschauer muss sich darauf wohl seinen eigenen
Reim
machen
.
Literatur hat was verführerisches, den Geruch von Kreativität und der Selbstdarstellung. Mara Delius stellte den
Debütroman
The Girls
von Emma Cline
vor. Ein Kommentar war von ihr über die
Protagonistin
des Romans
: „
Eine Frau ohne Eigenschaften
.“
Wie gut, dass es jetzt das geschlechtliche Gegenstück zu
Robert Musil´s Werk gibt.
Volker Weidermann stellte den Roman
Die Vegetarierin
von Han Kang vor, die für dieses Buch mit dem
Man Booker International Prize
ausgezeichnet wurde. Maxim Biller meinte lapidar: „
Der Steppenwolf
(Hermann Hesse) von heute.“ Diese Zeitspanne fand Volker Weidermann zu kurz und referierte über die Romantik, Novalis und dem Romanfragment
Heinrich von Ofterdingen
und natürlich durfte die
Blaue Blume
, das Symbol der Romantiker schlechthin, nicht unerwähnt bleiben
.
Unter uns gesagt: Ein Maxim Biller, dem es sichtlich schwer fällt, sich mit seiner Meinung zurückzuhalten, was vom Moderator vor der Öffentlichkeit gerügt wurde, und eine Christine Westermann, die fast jedes Buch toll findet, kann einem sympathischer sein, als das intellektuelle Geschwätz. William Shakespeare hätte sein Vergnügen daran gehabt und es in seine Komödie
Viel Lärm um nichts
einfließen lassen
.
Vier Romane sind vorgestellt worden und selbst bei den beiden, die als von allen vier Teilnehmern der Sendung positiv bewertet worden sind, wecken nicht in einem den Wunsch, diese zu lesen .
–
Karin Baum
–
©
read MaryRead
Elena Ferrante
:
Meine geniale Freundin
Originaltitel: L’amica geniale
Übersetzung aus dem
Italienischen
:
Karin Krieger
Roman
422 Seiten
gebunden
erschien: 29.08.2016
Verlag: Suhrkamp
ISBN 978-3-518-42553-4
Preis: 22,00 € (D), 22,70 €
(A)
Elizabeth Strout
:
Die Unvollkommenheit der Liebe
Originaltitel: My Name is Lucy Barton
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Sabine Roth
Roman
208 Seiten
gebunden
erschien: 29.08.2016
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87509-5
Preis: 18,00 € (D), 18,50 €
(A)
Emma Cline
:
The Girls
Originaltitel: The Girls
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Nikolaus Stingl
Roman
347 Seiten
gebunden
erschien: 20.07.2016
Verlag: Hanser
ISBN 978-3-446-25268-4
Preis: 22,00 € (D), 22,70 €
(A)
Han Kang
:
Die Vegetarierin
Originaltitel: The Vegetarian
Übersetzung aus dem
Englischen
:
Ki-Hyang Lee
Roman
190 Seiten
gebunden
erschien: 12.08.2016
Verlag: Aufbau
ISBN 978-3-351-03653-9
Preis: 18,95 € (D), 19,50 € (A)
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