„Die neuen Frauen – Revolution im Kaiserreich“ von Barbara Beuys

Der Schlüssel zur Gegenwart

Die Sorge um Arbeitsplätze ist seit der industriellen Revolution ein Dauerthema. An Arbeitsplätzen hängen häufig die Familien, die von den „Ernährern“ – „Ernährerinnen“ hört man selten – versorgt werden.
Barbara Beuys zeigt anhand des weiblichen Geschlechts in ihrem neuen Sachbuch „Die neuen Frauen – Revolution im Kaiserreich“ wie es um die Arbeitsplätze um die Jahrhundertwende (19. / 20. Jahrhundert) bestellt ist. Immer mehr Frauen setzen sich für gesellschaftliche Veränderungen ein und haben immer weniger die Einsicht, weshalb gerade ihr Geschlecht auf einen Arbeitsplatz und wirtschaftliche Unabhängigkeit verzichten sollten.

Luise Otto (1819 – 1895)

Das Sachbuch beinhaltet zwei Zeitaufteilungen. Die erste Zeiteinteilung umfasst in etwa 1850 bis 1900 und trägt den Titel „Vorgeschichte“, der zweite Teil ist von 1900 bis 1914 mit dem Titel „Ab 1900“.
An Beispielen von Frauen wird der allgemeine historische Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung deutlich. Die Wurzeln des Strebens nach Freiheit der Frauen legt die Historikerin Barbara Beuys in die beiden Revolutions jahre 1848 / 1849. Während große Teile der Bevölkerung auf die Barrikaden gehen, um für mehr politische Mitbestimmung, für mehr Rechte und Freiheit zu kämpfen, gilt dies für die Männer, die darin ihr Selbstverständnis sehen und vergessen dabei die Frauen, die sich für die gleichen Ziele einsetzen. Wenn jedoch einmal die Ideen formuliert sind, kann man sie nicht für die Hälfte einer Gesellschaft vorenthalten und die Frauen nehmen diese Ideen selbst in die Hand und streiten für ihre Rechte. Die Anfänge sind zögerlich und kommen wie die Revolution an und für sich aus dem Bürgertum .
Desto mehr die Industrialisierung zunimmt, desto dramatischer wird die Verelendung der Arbeiter. Die Bürgersfrau Luise Otto erkennt das Leid der Arbeiterinnen, dass noch schlimmer ist, als die der Männer, und es wird zu ihrer Lebensaufgabe, diesen Frauen Gehör zu verschaffen und Rechte für sie zu erkämpfen.
Nach und nach besetzen Frauen immer mehr Berufsfelder und ab cirka 1900 nimmt die Frauenbewegung Fahrt auf und erreicht immer größere Kreise der Gesellschaft, auch in den christlichen Kirchen kommt sie an. 1900 wird die Evangelische Frauenhilfe gegründet, 1903 das katholische Pandon „Katholischer Frauenbund Deutschlands“ (kfd). Innerhalb der SPD erstreiten sie sich die Gleichberechtigung innerhalb und außerhalb der Partei. Eine der führenden ist Clara Zetkin. Sämtliche Frauenvereinigungen werden 1894 unter dem Dachverband „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) zusammengeschlossen .

Die Historikerin geht nüchtern und sachlich an die Bewegung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau heran und dennoch schwingen durch die Zeilen der Respekt vor den damaligen Frauen und die Begeisterung mit. Einige Themengebiete wie „Mütter müssen bei ihren Kindern sein“ kommen uns heutzutage nur allzu bekannt vor. Viele Auseinandersetzungen von damals sind bis heute nicht abgeschlossen. Die Rollenverteilung zwischen den beiden Geschlechtern ist bis heute nach altem Muster vielfach anzutreffen. Heutzutage ist es zwar für Frauen möglich, die meisten Berufe zu ergreifen, außer der (katholischen) Priesterin, Bischöfin etc., aber bis heute wird das Dogma „Kinder gehören zu den Müttern“ aufrechterhalten und trifft auf mehrheitliche Zustimmung .
Barbara Beuys verschweigt in ihrem Buch nicht, dass die Frauen bestimmte Teile der Politik, wie Rassenhygiene, mit unterstützt und den Nährboden für das spätere Dritte Reich mit angereichert haben .
Der Aufbruch der Frauen führt zu vielen öffentlichen Diskussionen und Anfeindungen, aber der gesellschaftliche Fortschritt wäre ohne sie nicht denkbar .

Barbara Beuys wird am 09.10.1943 in Wernigerode geboren. Das Studium von 1963 bis 1968 in Köln mit den Fächern Historik, Philosophie und Soziologie schließt sie mit einer Promotion in Geschichte ab. Sie hat als Redakteurin beim „Stern“, „Merian“ und „ Zeit “ gearbeitet. Zurzeit lebt sie in Köln .
Einige Sachbücher von ihr machen deutlich, dass sie sich immer mal wieder den Frauen in der Geschichte widmet, wie die Biografien über „Denn ich bin krank vor Liebe. Das Leben der Hildegard von Bingen“ und „Sophie Scholl“ zeigen .

Bund Deutscher Frauenvereine, zum 100-jährigen Jubiläum, Briefmarke

Die Veränderungen von und für die Frauen werden in 16 Kapiteln mit einem jeweiligen Schwerpunkt aufgezeigt. Das jeweilige Kapitel ist ein kleines Zeitfenster und somit treten die ein und dieselben Frauen des Öfteren bei den unterschiedlichen Themen auf. Die Abfolge der Kapitel ist chronologisch, was die Einordnung in den Kontext der Geschichte vereinfacht .
Die Historikerin setzt deutlich auf Inhalt und weniger auf Zahlenwerke, was die Lesbarkeit erhöht, nur an den Stellen, an denen historische Daten oder Statistiken bedeutsam sind, werden sie genannt .

Der historische Blick auf die Frauen macht die Geschichte verständlicher. Jede Schicht der Gesellschaft und die verschiedenen politischen Gruppen haben die Frauenbewegung unterschiedlich beeinflusst .
An der einen oder anderen Stelle kann man die Bewertung seitens der Autorin kritisieren, wie die Begegnung zwischen den beiden Literaten aus der Moderne , Else Lasker-Schüler und Franz Kafka , da sie hin und wieder dem schwarz-weißen Denken verfällt. Nicht jede Kritik an einer Frau muss zwangsläufig etwas mit der Abwertung des Geschlechts zu tun haben, sondern mit dem Inhalt. Sieht man von diesen geringen kritikmöglichen Feinheiten ab ist dieses Sachbuch wie ein Schlüssel in die Vergangenheit und ermöglicht Rückschlüsse auf die heutige Zeit.

Barbara Beuys stellt überzeugend dar, wie die Frauen seitdem Aufstand des Bürgertums von 1848 / 1849 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs , eine stetig an Kraft gewinnende Revolution ohne Blutvergießen geführt haben .

– Christine Weber –
© read MaryRead

Sachbuch


Barbara Beuys:
Die neuen Frauen – Revolution im Kaiserreich
1900 – 1914
Sachbuch – Geschichte
384 Seiten
gebunden
1. Auflage: 24.02.2014
Verlag: Hanser
ISBN 978-3-446-24491-7
Preis: 24,90 € (D), 25,60 € (A)

Angaben zum Taschenbuch :
384 Seiten / Taschenbuch / erschien: 07.11.2015 / Verlag: Insel
ISBN 978-3-458-36119-0 / Preis: 12,00 € (D), 12,40 € (A)


Im folgenden Filmbeitrag „Kaiserreich und Weimarer Republik – Das Jahrhundert der Frauen – Teil 1“ informiert (Phönix):


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