Lesung mit Jacky Dreksler

Ist das, weil Sie Jude sind?

Hast du was gegen Juden?“ – „Ja, Gas!“ Die Kurzversion der ersten Begegnung von Hugo Egon Balder und Jacky Dreksler, wenn man der Autobiographie Ich wünsch‘ Dir ein glückliches Leben von Dreksler glauben darf. Anlässlich dieser Autobiographie treffen sich die beiden Freunde zum Gespräch über das Jüdischsein in Deutschland mit Moderatorin Randi Crott im Rahmen der lit.Cologne am 18. März .

Der jüdische Witz, so scheint es, steht im Zentrum. Trotz, oder vielleicht gerade wegen der ungewöhnlichen und dramatischen Lebensgeschichte Drekslers. Besonders die Kindheit ist geprägt von der Erfahrung der jüdischen Mutter, die Auschwitz überlebt, dann kurz nach Kriegsende unschuldig ins bundesdeutsche Gefängnis gebracht wird. Als der junge Dreksler neun Jahre alt ist, stirbt die Mutter an Krebs. Der Junge bleibt in der Obhut einer Frau, die er „Omi“ nennt, mit der er aber nicht verwandt ist. Sie versorgt ihn, hintergeht ihn, manipuliert ihn, und versucht ihn zum Katholizismus zu bekehren, entgegen dem Wunsch der Mutter auf dem Sterbebett, die ihm den Auftrag gibt, ein guter Jude zu werden. Vor allem aber ist das Vermächtnis der Mutter in ihren letzten Worten dieses: der Sohn soll glücklich werden in seinem Leben, trotz ihrer tiefen Überzeugung die Konzentrationslager würden eines Tagen wiederkehren .

Die Chemie zwischen Balder und Dreksler stimmt, wie nicht anders zu erwarten bei alten Freunden. Sie lesen gemeinsam aus Drekslers Buch, Balder lockert immer wieder die Stimmung durch humorvolle Einschübe, Dreksler wird hier und da philosophisch. Das Publikum pendelt zwischen kurzweiliger Zerstreuung und wiederkehrender Beklommenheit. Nur die Moderatorin scheint streckenweise nicht recht in die Szenerie passen zu wollen. Ein wenig hilflos wirkt sie und blass neben den beiden Herren, die auf der Klaviatur des beißenden jüdischen Humors spielen. Fragen scheinen sich zu verlaufen oder Bezüge erzwingen zu wollen. Zu herbei konstruiert erscheint mitunter der ewig wiederkehrende Bezug zum Jüdischsein mit Blick auf fast jede vorgelesene Passage. Wo individuelles Schicksal verhandelt wird, soll etwas Allgemeines herauskommen. Bei einem so ungewöhnlichen Lebensweg wie dem Drekslers ist das schwer möglich .

Am Ende des Abends fühlt man sich unterhalten und hat fast ein schlechtes Gewissen deswegen. Darf man sich unterhalten fühlen vom schweren Schicksal eines Mitmenschen? Ja, man darf. Die beiden Protagonisten des Abends machen es vor. Je dunkler der Weg, desto beißender der Humor. Und letztlich hat man doch auch Allgemeines erfahren: dass der jüdische Humor sich grundsätzlich zunächst einmal gegen sich selbst richtet, dass Nazis und Juden ein Gespür haben Juden zu erkennen, dass man – entgegen manchem Klischee – intelligent sein muss, um Unterhaltung machen zu können. Auch die als flach verschriene Unterhaltung, wenn man sie ernsthaft betreibt, enthält grundsätzliche Wahrheiten. Es bleibt aber der Schmerz, der das Lachen geradezu herausfordert. Man geht mit einem guten Gefühl nach Hause an diesem Abend, beschwingt aber nachdenklich und mit einer gewissen Erleichterung, dass der kleine Jacky damals doch die Kurve gekriegt hat .

– Simone Jawor –
© read MaryRead

Bordbuch


Jacky Dreksler: Ich wünsch‘ Dir ein glückliches Leben
Das Leid meiner Mutter und ihr Geschenk an mich
mit schwarz-weiß Abbildungen und Lesebändchen
Autobiographie
gebunden
400 Seiten
erschien: 16.02.2016
Verlag: DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-9822-0
Preis: 22,99 € (D), 23,70 € (A)


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