Familie Mann

Der Blitzschlag bei den Mann`s

Heinrich u. Thomas Mann

Ich stelle hin und wieder fest, wie sehr ich nahezu blindlings einer Meinung folge, obwohl ich – so nehme ich an – vom Naturell her eine Kritikerin bin, fast alles muss von mir durchleuchtet werden. Doch neulich hat es mich erwischt, und das auch noch auf einem Gebiet, auf dem ich mich sicher zu bewegen glaubte. Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen. Zugegeben, diese Redewendung existiert seit mindestens 2.000 Jahren, aber ich werde mich nicht von einem Saulus zu einem Paulus wandeln. Weder verfüge ich über eine solche Radikalität, ich möchte Menschen nicht mit Waffengewalt begegnen, noch hege ich den Wunsch eine Heilige oder Märtyrerin zu werden. Dennoch können alte Redewendungen, auch wenn sie abgenutzt klingen, den Nagel auf den Kopf treffen, um ein weiteres Sprichwort ins „Spiel“ zu bringen .
Neulich wanderte ich mit meinen Augen zum x-ten Mal an eines meiner Bücherregale entlang. Das ist nichts Ungewöhnliches, in vielen Haushalten stehen Bücherregale und werden häufig von ihren Bewohnern mit dem Sehsinn abgetastet. Ich blieb stehen und genau auf Augenhöhe ist die Familie Mann versammelt. So oft hielt ich schon eines ihrer Bücher in meiner Hand, den einen oder anderen Roman oder Erzählung habe ich gelesen. Nie kam mir der Gedanke, mal ganz offen und ehrlich über die Bücher im einzelnen zu sprechen, zu einig sind die Literaturkritiker und -wissenschaftler, oder habe ich etwas verpasst?
Vielleicht sollte ich endlich einen Ehering tragen, denn mit der Literatur habe ich schon vor langer Zeit einen Bund geschlossen und ich kann mir eine Welt ohne Bücher nicht vorstellen (und will ich auch nicht). Eine bessere und stabilere Basis für eine Ehe kann es wohl kaum geben, aber den „Der Zauberberg“ von Thomas Mann mag ich immer noch nicht. Wenn man mich ermüden will, wenn man mir eine langweilige Zeit wünscht, dann muss man mich nur in einen Raum sperren und als einzigen Roman den „Zauberberg“ geben. Warum ich mir überhaupt diesen Wahnsinn angetan habe? Ich hatte mal einen ganz besonderen Deutschlehrer und ich sage noch heute, einen besseren kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Viele Namen meiner Lehrer sind in Vergessenheit geraten, zumindest müsste ich lange in meinem Gedächtnis suchen, doch von Bernt Ture von zur Mühlen wird mir immer präsent sein. Er hatte mehrere wunderbare Eigenschaften. Er war, wenn es um Literatur ging, leidenschaftlich, konnte mit solch einer Begeisterung von Werken sprechen, dass schon ein eigenes ihm gewidmetes Buch wert wäre. Und er konnte noch etwas. Große umfangreiche Werke stellte er theatralisch dar. Unvergessen sind die Deutschstunden. In wenigen Minuten hatte er uns Auszubildenden Buchhändlern den „Zauberberg“ in einem Theaterstück humorvoll dargelegt, wie immer leidenschaftlich. Und was macht eine Auszubildende? Sie sucht natürlich umgehend die Schulbibliothek auf, die nicht mit herkömmlichen Schulbibliotheken vergleichbar ist, eher mit berühmten Bibliotheken in Kleinformat, besorgt sich dort den „Zauberberg“ von Thomas Mann. Kein Stirnrunzeln, kein verziehen der Mimik, keine Zuckung im Gesicht der Bibliothekarin warnte mich vor. Stolz und mit erhobenem Haupt verließ ich die Bibliothek, suchte mein Zimmer auf und begann den Roman zu lesen. Die ersten Seiten machten mich noch nicht stutzig, doch spätestens ab der hundertsten Seite konnte ich die Begeisterung meines Deutschlehrers nicht teilen. Langweilig, langweilig und nochmals langweilig; doch immer und immer wieder dachte ich, ich habe zu wenige Kenntnisse, ich bin nur eine die den Weg zur Buchhändlerin beschreitet, ich war nur eine Studentin der Germanistik und Philosophie, ich habe zu wenig Ahnung von der Literatur. Wenn Deutschland den Thomas Mann im Kanon auf den ersten Platz wählt, wie in der letzten Ausgabe der Bildzeitung zum 3. Oktober, wenn Marcel Reich-Ranicki den Thomas Mann in seinen kreierten Kanon aufnimmt, dann muss es einen Grund geben, der mir verborgen ist. Bislang fand ich nur eine Erzählung von Thomas Mann tatsächlich interessant und gut, nämlich „ Mario und der Zauberer “. Selbst die „ Buddenbrooks. Verfall einer Familie “, wofür Thomas Mann den Literaturnobelpreis erhalten hat, veranlassen mich zum Gähnen, doch immerhin werden darin drei Generationen beschrieben und immerhin, dort passiert etwas .
Hingegen finde ich in keinem Kanon Heinrich Mann, ganz zu schweigen von Klaus Mann und selbst einen Golo Mann zitiert man nur selten. Man kann sich über vieles streiten und über Heinrich Mann kann man nächtelang diskutieren, voran der Roman „ Professor Unrat “ und über Klaus Mann mit „Mephisto“ sowieso und auch Golo Mann könnte ganze universitäre Semester füllen. Warum um Himmels Willen wird gerade Thomas Mann, der langweiligste Schriftsteller aus der Familie Mann, so hoch gehalten, auf solch einen Thron gesetzt? Doch was maße ich mir an? Nur weil ich eine Bibliophile bin, nur weil ich von Germanistik gerochen, nur weil ich als Buchhändlerin die Belletristik geleitet habe, nur weil ich eine Literaturkritikerin bin ?

– Rosa Stein –
© read MaryRead

Lesestoff


Angaben zu den Bildern:
Mitte : Golo Mann als Baby mit seinen Eltern vor dem Sommerhaus in Bad Tölz 1909; links unten auf der Treppe sitzend seine Geschwister Klaus und Erika Mann .
Unten : Klaus Mann porträtiert von seiner Tante Olga Pringsheim, 1926


Ähnliche Beiträge:

Schatztruhe
Mann, Heinrich : Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Aufzucht von Tyrannen
Sein machtbesessenes Verhalten ist ein Ergebnis aus einer krankhaften Einstellung zum Leben […] Letztendlich wird der Tyrann gestürzt, doch es sind schon längst neue Tyrannen herangewachsen, die noch … mehr >
von Andrea Müller / 22.07.2014 / Roman


Schatztruhe
Mann, Thomas : Tonio Kröger │Mario und der Zauberer
Homosexualität und Faschismus
…wird Tonio aufgrund seiner Hautfarbe und seines ungewöhnlichen Vornamens von seinen Mitschülern eher gemieden. Die Erfahrungen mit seinen Mitschülern ziehen sich wie ein roter Faden […] anhand des Zauberers … mehr >
von Astrid Meyer / 05.06.2014 / Erzählungen

Dieser Beitrag wurde unter Kolumne abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink .

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *