„Mein Sommer mit Mucks“ von Stefanie Höfler

Offene Fragen und eine Freundschaft

Bei Sonnenschein sitzt man gerne im Garten, in der Ferne hört man das Gebrabbel eines Säuglings. Versüßen kann man sich solch einen Tag mit einem Buch. Zuerst scheint die Sommeridylle durch das Kinderbuch Mein Sommer mit Mucks von Stefanie Höfler fortgesetzt zu werden .

Zwei Häuser, das eine ist hundert Jahre alt, man würde vielleicht von einem Haus mit Seele sprechen, dass andere ist ein graues siebenstöckiges Hochhaus. Deren jeweilige Geschichte könnte so klingen :

Das hundertjährige Haus erzählt :
In meinem Haus lebt eine Familie, mit einer fast dreizehnjährigen Tochter. Sie heißt Zonja, wobei sie es blöd findet, dass sie mit Z anstatt mit S geschrieben wird. Sie ist liebevoll, neugierig und hat viele Fragen, die sie sich notiert. Hat sie eine zufriedenstellende Antwort auf einer der Fragen gefunden, wird die Frage durchgestrichen. Klar, ist ja auch beantwortet. Eine Frage kreist immer wieder in ihrem Kopf: „Was ist der wertvollste Stein der Welt ?“ (S. 9)
Eines Tages begegnet sie im Freibad einem Jungen, den sie Mucks nennt, aber ist das ein richtiger Name für einen Jungen? Sei es drum. Sie rettet ihn vor dem Ertrinken. Sie findet ihn nett, möchte mit ihm befreundet sein. Eigentlich spricht nichts dagegen, aber manchmal ist der so merkwürdig .

Auf dem Buchcover sind zwei türkisfarbene Schatten, ein Junge und ein Mädchen berühren sich, in einem Schwimmbecken zu erkennen. Somit wird angedeutet, dass es sich wahrscheinlich um eine Freundschaftsgeschichte handelt. Wie viele Freundschaften beginnen in einem Freibad? Mindestens eine, nämlich die von Zonja und Mucks. Beide sind für ihr Alter, sie sind so um die 13 Jahre alt, etwas ungewöhnlich, um es vorsichtig auszudrücken. Sie sind Einzelgänger, spielen leidenschaftlich Scrabble, interessieren sich für Naturwissenschaften und sind über die Vorgänge auf der Welt offen. Was für eine Art von Begegnung braucht man, um in der Menschenmasse auf den zu treffen, der zu einem passt? Typisch wäre das zufällige Anrempeln im Schwimmbecken, oder man stößt aus versehen einem das Eis von der Hand, oder, oder, oder. Nichts von alledem trifft auf die beiden zu .

Das Hochhaus erzählt :
Bei mir lebt eine Familie, bestehend aus Großmutter, Mutter und Sohn. Der Sohn nennt sich selber Mucks. Lange leben sie noch nicht hier. Ich glaube, die sind in kurzer Zeit viermal umgezogen. Dann lernt Mucks ein Mädchen kennen. Die hat ihn wohl vor dem Ertrinken gerettet. Wo gibt’s denn so was? Ein dreizehnjähriger Junge kann nicht schwimmen ?
Wisst ihr, wie Zonja mich nennt? Riesenmonster. Als sei ich eine Gefahr .

Neben den beiden menschlichen Schatten im Becken, paddelt auf dem Cover noch ein Krokodil durch das Wasser, der nach dem Schatten des Jungen greift. Nein, in der Erzählung ist nichts surreal, im Gegenteil, sie stammt aus dem Alltag, der so oder so auf die meisten Kinder hierzulande zutrifft. Zonja lebt in einer wohlbehüteten Familie, aber sie wird nicht von Helicopter-Eltern umkreist. Mucks hingegen stammt aus einer zerrütteten Familie, wobei vieles unklar bleibt. Warum respektiert der Vater keine Grenzen? Warum trägt die Mutter tagsüber einen Bademantel ?

Die Erzählung über die beiden Kinder wird man nicht so schnell vergessen, dafür ist sie zu bewegend, zu herzergreifend und die Theaterpädagogin Stefanie Höfler macht in ihrem Debüt nicht den Fehler Alles wird gut , es gibt kein klassisches Happy End, es bleibt offen, wie der weitere Lebensverlauf das Leben von Mucks sein wird. Ausgezeichnet wurde das Buch bislang mit dem Evangelischen Buchpreis (2016), im letzten Jahr mit dem Nachwuchspreis deutschsprachiger Autoren von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. und es ist für den den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 in der Kategorie Kinderbuch nominiert. Die Jury begründet die Nominierung so :

Kritikerjury

Diese Sommerferiengeschichte geht unter die Haut. Als die beiden Teenager Zonja und Mucks sich im Schwimmbad treffen, beginnt eine wunderbare Freundschaft zwischen zwei Außenseitern, die sich die Zeit mit Scrabble, Pfannkuchen-Essen, In-den-Himmel-Schauen , Reden und Schweigen vertreiben. Doch je näher Zonja Mucks kennen lernt, desto mehr wird ihr deutlich, dass Mucks ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Dank Zonjas hellsichtiger und couragierter Mutter kann Schlimmeres verhindert werden. Die Geschichte von häuslicher Gewalt nimmt zwar kein gutes, aber doch ein hoffnungsvolles Ende .
Stefanie Höfler gelingt es in ihrem Debüt, ein schweres Thema in eine Freundschaftsgeschichte einzubetten, die mit Witz von einer durchaus selbstironischen Protagonistin erzählt wird. Ihre Kinder- und Erwachsenenfiguren sind glaubhaft und facettenreich. Mein Sommer mit Mucks überzeugt durch eine Sprache, die so eigenwillig ist wie die Erzählerin, der sie in den Mund gelegt wird. Franziska Walther gelingt es, in ihren Illustrationen die Leichtigkeit der Geschichte ebenso zu spiegeln wie deren Schatten .“
Quelle ( ) : Deutscher Jugendliteraturpreis 2016, Kategorie Kinderbuch

Der Kontrast zwischen den beiden Lebenswelten wird durch den Vergleich der beiden Häuser von dem Mädchen Zonja besonders deutlich. In dem Haus, in dem sie lebt, ist es eine Seele mit Fensterläden, die aussehen wie Augenlider „die es zum Schlafen zuklappt “ ( S. 57 ). Mucks lebt in einem der fünf Hochhäuser im Fasanenacker. Die Fenster sehen aus „wie die Augen eines lethargischen Riesenmonsters“. Nachdem fast in dem Riesenmonster eine Tragödie geschehen wäre, zieht die Familie von Mucks um. Mucks kann sich nicht von Zonja verabschieden. Erst zu ihrem dreizehnten Geburtstag erhält sie von ihm ein Lebenszeichen mit einer Antwort auf eine ihrer brennendsten Frage.

Gewalt in der Familie kommt häufiger vor, als man wahrhaben möchte. Zonja begreift allmählich, was mit Mucks los ist. Ihr Glück ist, dass ihre Eltern hinter sie stehen, sie unterstützen und das sie wissen, was zu tun ist. Zonja bleibt während der Hilfemaßnahmen ein Kind, sie wird zu keiner Superheldin , jedoch ist sie ein starkes Mädchen. Es ist gut, wenn es so aufmerksame Menschen gibt wie Zonja und ihre Eltern; es ist aber auch gut, wenn das Schweigen über die Gewalt in der Familie gebrochen wird, weil es dann eine Chance auf Veränderung gibt. Stefanie Höfler nähert sich dem Thema behutsam ohne vom übermäßigen Idealismus getrieben zu sein, sie stellt es realistisch dar ohne unnötige Verurteilung. Ein hilfreiches, liebevolles und einfühlsames Kinderbuch .

Die Sommeridylle findet ein jähes Ende, als dicke Wolken am Himmel aufziehen, Regentropfen sollen die traurig-spannende Erzählung, mit ihren Darlegungen über die Natur und dem zarten Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Fast-Pubertierenden nicht verschandeln (auch wenn Mucks noch so sehr den Regentanz liebt ).

Alice Haase
© read MaryRead

Kinderbuch

Stefanie Höfler : geboren 1978, studierte Germanistik, Anglistik und Skandinavistik in Freiburg und Dundee / Schottland. Sie arbeitet als Lehrerin und Theaterpädagogin in Esslingen .
© Foto: Christina Neidenbach / Beltz & Gelberg

Stefanie Höfler : Mein Sommer mit Mucks
Illustrationen : Franziska Walther
Alter : ab 11 Jahre
Taschenbuch
140 Seiten
erschien: 09.05.2016
Verlag: Beltz & Gelberg
ISBN 978-3-407-74725-9
Preis: 5,95 € (D), 6,20 € (A)


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